Ein perfekter Freund
still geworden.
Jetzt wurde sie von unkontrollierbaren Weinkrämpfen geschüttelt.
Fabio sah noch, wie sich von beiden Seiten Frauenarme um die zuckenden Schultern legten. Dann schossen ihm die Tränen in die Augen.
Zuerst versuchte er, dagegen anzukämpfen. Aber bald befreite sich der erste Schluchzer aus seiner Brust. Fabio weinte hemmungslos wie ein verzweifeltes Kind. Er wußte nicht, ob aus Trauer über Lucas, über die Hilflosigkeit der Zeremonie oder über die eigene Sterblichkeit.
Er bemerkte nicht, wie die Gemeinde aufstand und mit neugierigen Seitenblicken auf ihn den Raum verließ. Er bekam nur mit, daß jemand neben ihm den Arm um ihn legte und ihn mit Papiertaschentüchern versorgte.
Als er sich etwas gefaßt hatte, sah er, daß es Sarah war, die sich um ihn kümmerte.
Er schneuzte sich. »Scheiße.« Sarah nickte.
»Wo sind alle?«
»Am Grab.«
»Und du?«
»Froh um einen Vorwand, mich drücken zu können.«
»Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«
»Wenn man bei Beerdigungen nicht mehr weinen darf…«
»Falls je die Frage auftauchen sollte, Sarah, und du bist dabei: Ich will einen Pfarrer und Meßdiener und Weihrauch und etwas Latein.«
»Komm, laß uns hier raus.«
Im Schirmständer vor der Kapelle steckte ein letzter Schirm. Sarah spannte ihn auf. »Scheißwetter« stand drauf. »Nicht sehr passend, ich weiß. Ich fand keinen anderen. Sie haben im Sonnenfels reserviert. Willst du mit mir fahren?«
»Ein Leichenmahl? Ich glaube, das schaffe ich nicht. Sieht es blöd aus, wenn ich nicht auftauche?«
Sarah lächelte. »So wie du geheult hast, kann dir niemand böse sein.«
Unter dem Schirm mit der unpassenden Aufschrift gingen sie zu Sarahs Wagen. »Es ist etwas pietätlos, aber ich stelle die Frage jetzt trotzdem: Habt ihr seine Sachen schon durchgesehen?«
»Nur oberflächlich.«
»Nichts von einem Doktor Barth darunter?«
»Die große Sache?«
»Genau.«
»Wie sieht es denn aus?«
»Wissenschaftlich. Aufzeichnungen, Statistiken, Protokolle.«
»Wenn wir etwas finden, gebe ich dir Bescheid. Aber rausgeben könnte ich es nicht, das ist dir klar?«
»Ja.«
Als sie schon hinter dem Steuer saß, fragte er: »Soll ich mich immer noch raushalten?«
»Ja. Gib ihr Zeit.«
Viel mehr Zeit brauchte er Norina nicht zu geben.
Er saß vor dem Powerbook und schaute seine elektronische Post durch. Nur eine Nachricht war ne u. Sie stammte von Bianca Mond. Er hatte sie am Wochenende erreicht und dazu überredet, in Dr. Barths Mailprogramm nachzuschauen, ob sie E-Mail-Adressen von Kollegen finden könne. Sie hatte zurückgeschrieben:
Lieber Fabio Ich habe nachgeschaut und nichts gefunden. Sieht aus, als hätte er alle seine Daten gelöscht. Habe gestern im SONNTAG- MORGEN einen Nachruf auf einen Kollegen von Dir gelesen. Hast Du den gut gekannt?
Melde Dich mal ungeschäftlich. Bianca Er wollte ihr ein paar Worte zurückschreiben, als es läutete.
Zuerst verstand er den Namen nicht, den die Frauenstimme über die rauschende Gegensprechanlage rief.
»Wer?«
»Norina!«
Er drückte auf den Türöffner, riß das Fenster auf und strich das Federbett glatt. Wieder klingelte es. Er öffnete die Tür. Niemand. Er drückte auf die Sprechtaste. »Ja?«
»Welcher Stock?«
»Ach so. Zweiter, Apartment acht.«
Er leerte den Aschenbecher und räumte die Kleider weg, die auf dem Sessel lagen.
Die Lifttür ging. Er warf einen Blick in den Badezimmerspiegel, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und öffnete.
Auf dem Korridor brannte kein Licht. Fabio sah nur ihre schmale Silhouette vor dem erleuchteten Aufzug, der jetzt wieder hinunterfuhr. Er drückte auf den Lichtschalter, nichts passierte.
»Hab's auch schon probiert. Scheint kaputt zu sein«, sagte ihre Stimme.
Sie kam auf ihn zu, trat ins Licht, das aus seinem Apartment auf den Gang drang, und gab ihm die Hand. Sie trug immer noch den grauen Anzug von der Beerdigung.
»Bin ich froh, daß du zu Hause bist.«
Als sie an ihm vo rbei in die Wohnung trat, roch er Zigaretten und Pommes frites. Er nahm ihr den triefenden Schirm ab, sah sich nach einem geeigneten Platz um und entschied sich für das Spülbecken.
Ihre Augen glänzten, und ihr Atem roch nach Wein. »Ich muß mit dir über Luc as reden.«
»Willst du etwas trinken?«
»Was hast du?«
»Wasser, Cola, Saft, alkoholfreies Bier. Rotwein.« Sie nickte. »Ich bleibe beim Roten.«
Barolo war ihr Lieblingswein. Er hatte ihn für genau diesen unwahrscheinlichen Fall
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