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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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besorgt. Er brachte die Flasche und ein Glas aus der Kochnische.
    »Und du?«
    Fabio deutete auf seinen Kopf und sagte tapfer: »Ich sollte nicht.«
    »Du hast mir doch von dieser Geschichte erzählt, die Lucas dir gestohlen haben soll.« Sie trank achtlos einen Schluck. »Ich habe ihn danach gefragt.«
    »Und?«
    »Er wollte nicht darüber sprechen. Alles, was er dazu sagte, war: Fabio irrt sich.«
    »Inwiefern? Daß es die Geschichte gab? Daß er die Dokumente geklaut hatte? Daß er sie unter dem Deckel hielt?«
    »Das hatte ich ihn auch gefragt. Er wollte es mir nicht sagen. Er könne es nicht, sagte er.«
    »Die Tatsachen sprechen für meine Version. Jetzt noch mehr. Die Polizei geht inzwischen davon aus… Lassen wir das.«
    »Sag es.«
    »An dem Tag, an dem ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte man Lucas und mich im Gourrama gesehen. Eine Stunde bevor man mich verwirrt an der Endstation Wiesenhalde auflas, bestellte Lucas einen Krankenwagen und schickte ihn wieder weg.«
    Norina schaute Fabio verständnislos an. »Man muß davon ausgehen«, erklärte er, »daß Lucas die Ursache meiner Verletzung war.«
    »Du meinst, er hat dich niedergeschlagen?«
    »Nicht ich meine das, das vermutet die Polizei.«
    »Du spinnst. Lucas ist beinahe draufgegangen vor Angst um dich.«
    »Vielleicht war es keine Absicht. Vielleicht hat er mich gestoßen, und ich bin unglücklich gefallen.«
    »Aber er hätte doch bestimmt etwas gesagt. Er hätte dich doch nicht im Spital besucht, ohne etwas zu sagen.«
    »Vielleicht wollte er das ja. Aber dann, als er sah, daß ich mich nicht erinnerte, behielt er es für sich.«
    Norina schüttelte den Kopf. »Das hätte Lucas nie getan.«
    »Manchmal gerät man in etwas hinein. Du darfst nicht vergessen, die Versuchung war groß. Die Geschichte ist ein Riesenknüller. Prionen in der Schokolade!«
    Norina trank ihr Glas leer. Fabio schenkte nach. »Selbst wenn das wahr wäre«, sinnierte sie, »dann hätte er die Sache doch so bald wie möglich veröffentlicht. Warum sollte er sich dafür bezahlen lassen, sie nicht zu bringen?«
    »Kommt auf den Betrag an. Ich könnte mir vorstellen, daß LEMIEUX für solche Fälle eine gutgefüllte Kasse hat.«
    Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Für so etwas war Lucas viel zu ehrlich.«
    »Der unehrliche Umgang mit etwas unehrlich Erworbenem ist irgendwie konsequent.«
    Norina hob das Glas an die Lippen, trank aber nicht. »Glaubst du, jemand hat ihn umgebracht?«
    Der Gedanke war Fabio nicht ganz fremd. Aber er schüttelte den Kopf. »Aus welchem Grund denn?«
    »Weil er sich eben nicht hatte kaufen lassen.«
    »Ich nehme an, die Gerichtsmedizin kann feststellen, ob jemand gesprungen ist oder ob nachgeholfen wurde.«
    »Vielleicht könnte sie das. Aber sie untersucht es gar nicht. Die Polizei hat ja ein Selbstmordmotiv.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mich.«
    Norina fing an zu weinen. »Hast du Taschentücher?«
    Fabio rannte zum Schrank und fand keine, suchte im Bad und fand keine. Schließlich kam er mit einer Rolle Toilettenpapier zurück. Er ging vor dem Sessel in die Hocke und riß dreilagige Papierchen ab, immer drei auf einmal.
    »Du mußt der Polizei die Geschichte erzählen«, brachte sie heraus.
    »Dazu muß ich Beweise haben.«
    »Wenn er sie hatte, sind sie bei seinen Sachen.«
    »Und wo sind die?«
    »Bei mir. Er war - er war dabei, bei mir einzuziehen, als mir klar wurde, daß das nicht gutgehen würde.«
    Dieses Eingeständnis machte es ihr vollends unmöglich, weiterzusprechen. Fabio sorgte weiter für Papiernachschub.
    Wenn er eine Hand frei hatte, strich er ihr tröstend übers Haar. So kauerte er vor ihr, bis sie zu weinen aufgehört hatte. Er raffte den Haufen Papier zusammen, warf ihn in den Mülleimer und ging ins Bad. Als er zurückkam, lag Norina auf dem Bett.
    »Nur für einen Moment«, sagte sie.
    Fabio saß auf dem Schreibtischstuhl und betrachtete die schlafende Norina. Er hatte das Fenster geschlossen und fürchtete bei jedem Geräusch von der Straße, sie könnte erwachen.
    Nach fast zwei Stunden stand er leise auf, zog ihr die Schuhe aus und deckte sie zu. Er löschte die Lichter bis auf die Schreibtischlampe.
    Etwas später ging er ins Bad, putzte die Zähne, ließ das Licht an und die Tür offen und löschte die Schreibtischlampe. Er zog die Schuhe aus und legte sich vorsichtig neben Norina.
    Er lauschte ihrem ruhigen Atmen und wagte es selbst kaum, Luft zu holen. So lag er da und hoffte, es würde nie

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