Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
Vom Netzwerk:
möglich zurück. Danke.«
     
    Damals lief ich noch in Uniform rum. Ich hatte immer ein Köfferchen bei mir und arbeitete stundenlang im Archiv mit »Felicia«, unserem alten Computer, einem geheimnisvollen und sehr effizienten Schaufenster. Ich trug meine Dienstpistole im Gürtel, aber mit der Uniformmütze konnte ich mich nicht recht anfreunden. Seit ich in einer Zeitschrift gelesen hatte, dass Schirmmützen die Ursache Nummer eins für Kahlköpfigkeit sind, versuchte ich sie so selten wie möglich zu tragen.
    Es war fast neun Uhr abends, und ich hatte nur noch einen Wunsch: ins Bett zu fallen. Ich dachte also an mein Bett, während ich zur Bushaltestelle ging, als ich jemand beharrlich hupen hörte. Wie immer verfluchte ich diese Leute, die ständig hupen müssen, und sah mich nach dem Teufel um, der bestimmt zwei Hörner auf dem Kopf und sogar einen Dreizack in den Hand hatte. Ich sah seinen Arm, der mir über dem Autodach zuwinkte. Mir? Ja, mir! Die Windschutzscheibe blendete mich, und außerdem war es dunkel, sodass ich nicht sehen konnte, wer hinter dem Steuer saß. Ich ging hin, weil ich hoffte, mitgenommen zu werden.
    Ich hatte ihn seit etwa fünf Jahren nicht mehr gesehen, doch auch nach hundert Jahren noch hätte ich ihn wieder erkannt.
    »Mensch, Junge, mir wär fast die Hand abgefallen vom Hupen«, rief er mir zu, lächelnd wie immer. Und ich weiß nicht warum, aber ich lächelte zurück.
    »Hey, Rafael«, begrüßte ich ihn und streckte die Hand durchs Fenster. Sein Händedruck war kräftig. »Hab dich ja schon ’ne Ewigkeit nicht mehr gesehen. Und Tamara?«
    »Willst du nach Hause?«
    »Ja, hab gerade Schluss und … «
    »Los, steig ein, ich bring dich nach La Víbora.«
    Ich stieg in den Lada, der nach Leder, Lederfett und vor allem neu roch. Rafael fuhr los. Es war das letzte Mal, dass wir miteinander sprachen.
    »Wo arbeitest du jetzt?«, fragte ich ihn, so wie ich alle meine Bekannten frage.
    »Ich treib mich immer noch im Industrieministerium rum, mal sehn, was dabei rauskommt«, antwortete er ganz unbekümmert. Seine Stimme klang liebenswürdig und überzeugend, wie immer, wenn er mit Freunden sprach. Anders als die harte und noch überzeugendere Stimme, mit der er sprach, wenn er auf einer Rednerbühne stand.
    »Und schon haben sie dich mit einem Auto beglückt, was?«
    »Nein, nein, noch nicht, das ist ein Dienstwagen, aber ich benutze ihn, als wärs mein eigener. Jetzt zum Beispiel komm ich gerade aus einer Sitzung in der Handelskammer, und so geht das den ganzen Tag. Sehr anstrengend, die Arbeit … «
    »Und Tamara?«, versuchte ich es noch einmal.
    So wie nebenbei sagte er, gut, sie habe gerade ihren Sozialdienst drüben in Bejucal abgeleistet, und jetzt arbeite sie in Lawton in einer Klinik, die neu eröffnet worden sei. »Nein, nein, Kinder haben wir noch keine, aber über kurz oder lang bestellen wir eins«, sagte er.
    »Und wie gehts dir so?«
    Wir überquerten die Agua Dulce. Ich versuchte zu erspähen, welcher Film im Florida gespielt wurde. Ich hätte ihm sagen können, dass es mir nicht besonders gut ging, dass ich Beamter war und Informationen verarbeitete, dass ich nicht wusste, warum ich Maritza geheiratet hatte, dass der Dünne letzten Monat wieder operiert worden war. Aber ich hatte keine Lust dazu.
    »Gut, Alter, gut.«
    »Du musst mal vorbeikommen, dann trinken wir was zusammen«, schlug er mir an der Ecke 10 de Octubre und Dolores vor. Mir fiel auf, dass Rafael mir noch nie so etwas gesagt hatte. Weder mir noch dem Dünnen oder dem Hasenzahn oder Andrés, keinem von uns. Und als er an der Ampel Ecke Santa Catalina hielt, damit ich aussteigen konnte, brachte ich es fertig, ihm zu antworten:
    »Mal sehn, irgendwann mal. Grüß Tamara von mir.«
    Wir gaben uns wieder die Hand, und ich sah ihn in die Santa Catalina einbiegen. Der Blinker blinkte, die Hupe hupte zweimal, wie zum Abschied, und weg war er in dem Wagen, der so neu roch. Da dachte ich: Du alter Wichser, dich interessiert doch nur, mich zum Freund zu haben, weil ich Polizist bin, oder? Und ich musste lachen, damals, als ich Rafael Morín zum letzten Mal sah.
     
    Jetzt fehlte seinen Augen der helle Glanz, und es fehlte der pathetische Klang seiner Stimme. Es fehlte der makellose Teint seines frisch rasierten, gebadeten, wachen Gesichts. Es fehlte das unvermeidliche, selbstsichere Lächeln, das Licht und Sympathien verbreitete. Das Gesicht sah dicker aus, violett, kränklich, und sein kastanienbraunes Haar schrie

Weitere Kostenlose Bücher