Ein perfektes Leben
Du müsstest mich eigentlich besser kennen. Ich fühle mich in keinster Weise schuldig, und dass ich das alles genossen habe, ist nur normal, das hätte jeder andere ebenso gemacht. Erwarte nicht von mir, dass ich beichte und Buße tue.«
»Ich seh schon, ich kenn dich schlecht.«
Sarah Vaughan singt Lullaby of Birdland. Das beste Lied, um sich in die magische Welt von Oz zu flüchten. Doch Tamara ist nicht zu bremsen, und er weiß, es ist besser, dass sie endlich spricht, spricht, spricht …
»Bestimmt hältst du mich für undankbar und wer weiß was sonst noch. Ich müsste dir jetzt widersprechen, dir sagen, dass alles eine Lüge ist und mein Mann zu so was nicht fähig ist, und dann müsste ich anfangen zu weinen, ja? Das ist in solchen Fällen doch üblich, stimmts? Aber ich hab kein dramatisches Talent, ich bin kein leidender Egozentriker wie du. So etwas ist mir fremd … Ich würde das Ganze am liebsten ungeschehen machen, jawohl, aber weißt du, was das ist, ein reines Gewissen?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
»Ich aber, falls du das nicht wusstest oder dir was anderes vorgestellt hast. Ich habs dir neulich schon gesagt: Rafael hatte das, was man ihn hat haben lassen oder was ihm zustand oder was weiß ich. Alle Welt wusste, dass er ins Ausland reiste und Sachen mitbrachte, und alles war normal, und er war in Ordnung. Alle Welt wusste das und … Ach, ich will nicht mehr darüber reden. Es sei denn, das hier ist ein Verhör, aber dann sag ich kein Wort mehr, jedenfalls nicht zu dir.«
Er lächelt und geht zum Sofa zurück. Er setzt sich dicht neben sie, ihre Knie berühren sich, und zuerst stellt er es sich nur vor, dann wagt er es: Langsam legt sich seine Hand auf ihren Oberschenkel, er hat Angst, sie könnte sich ihm entziehen, doch der Schenkel bleibt, wo er ist, unter seiner Hand. Er klammert sich an das feste, lebendige Fleisch und spürt ein leichtes Beben, unmerklich unter der Haut. Er sieht ihr in die Augen und sieht den feuchten Glanz, der sich zu einer Träne verdichtet, an Tamaras Wimpern hängt und dann über ihre Nase rinnt. Er weiß, dass er zu allem bereit ist, außer, sie weinen zu sehen. Sie legt den Kopf an seine Schulter, und er weiß, dass sie weint, still und erschöpft, und da fängt sie an zu sprechen, jetzt ohne Zorn in der Stimme.
»Es stimmt, ich hab das kommen sehen. Das oder so etwas Ähnliches. Er war ja mit nichts mehr zufrieden, träumte von mehr, fühlte sich schon als mächtiger Unternehmer. Ich glaube, er hielt sich für den ersten Yuppie Kubas oder so … Und ich hab mich ebenfalls daran gewöhnt, so zu leben, daran, dass es alles gab und alles leicht und bequem war, dass er mit einem Freund geredet hat, damit ich nicht zum Sozialdienst nach Las Tunas musste, und dass wir Urlaub in Varadero machen konnten und all das. Und am Ende hatte ich Angst davor, mein Leben zu ändern, obwohl, ich glaube, ich hab schon lange aufgehört, ihn zu lieben. Wenn er auf Reisen ging, war ich froh, alleine hier im Haus zu sein, mit dem Jungen, ohne darüber nachdenken zu müssen, dass er spät nach Hause kam und mir sagte, er sei müde, und schlafen ging oder sich in der Bibliothek einschloss, um seine Berichte zu schreiben, oder dass er über die schwierige Situation jammerte. Ich weiß auch, dass er sich schon seit einiger Zeit mit Frauen rumgetrieben hat, da konnte er mir nichts vormachen. Aber wie gesagt, ich hatte Angst, meine Ruhe zu verlieren, die ich so sehr liebe. Und was ich mit dir getan habe, hab ich noch mit keinem getan, das musst du nicht denken.« Er kann ihr Gesicht nicht sehen, doch er weiß, dass sie aufgehört hat zu weinen. Sie trinkt ihr Glas aus, und er tut es ihr nach. Sie steht auf, sagt »Großer Gott« und geht wieder in die Küche. Er spürt in seiner Handfläche Tamaras Wärme. Jetzt weiß er, dass er mit dieser Frau schlafen kann, die ihm siebzehn Jahre lang den Verstand geraubt hat. Er stellt das Glas auf den Tisch, ignoriert die glimmende, qualmende Zigarette in dem Murano-Aschenbecher und legt seine Pistole aufs Sofakissen. Auch ohne sie fühlt er sich gut gerüstet und folgt Tamara in die Küche. Sie steht vor der Anrichte und gießt sich einen weiteren Whisky ein. Er fasst sie um die Taille, zwingt sie, so stehen zu bleiben. Er streichelt die Hüften der desillusionierten Rumbatänzerin, den Bauch, den er bereits kennt, dann ihre Brüste, häufigster Gesprächsstoff der Oberstufe von La Víbora. Sie lässt sich streicheln, bis sie es
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