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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Hintern die Ursache für viele Tränen war, als nämlich die Ballettlehrerin ihr dazu riet, ihrem künstlerischen Leben eine radikal andere Richtung zu geben. Ihre ausladenden Hüften, ihr fleischbeladender Hintern und die Rundungen ihrer Schenkel waren nicht die einer Elfe oder eines Schwans, sondern erinnerten mehr an eine Legehenne. Deshalb schlug die Lehrerin ihr vor, sich von nun an dem ordinären Rumba mit Schweiß und Rum zu widmen.
    »Ein trauriges Schicksal, was?«, sagt er.
    Manolo hebt die Schultern. Er grübelt über jenes unbegreifliche traurige Schicksal nach, als Tamara zurückkommt und ihn zwingt, sie anzusehen.
    »Mima hat ihn gerade eben gekocht, er ist noch heiß«, versichert sie und reicht zuerst Manolo und dann Mario eine Tasse. »El Conde persönlich, kaum zu glauben! Du bist doch inzwischen sicher schon Mayor oder Capitán, stimmts, Mario?«
    »Teniente«, erwidert er, »und manchmal frag ich mich, wie ich das geworden bin.« Er trinkt einen Schluck, traut sich jedoch nicht zu sagen: Verdammt guter Kaffee, speziell für gute Freunde! Dabei ist es wirklich der beste Kaffee, den er seit Jahren getrunken hat.
    »Wer hätte gedacht, dass du zur Polizei gehen würdest!«
    »Niemand, ich glaube, niemand.«
    »Das war vielleicht ’ne Nummer«, sagt sie zu Manolo, um sich dann wieder Mario zuzuwenden. »Wo du doch alles andere als ein Musterschüler warst. Bist nicht zu den berühmten Veranstaltungen gegangen und hast dich vor dem letzten Unterrichtsblock verdrückt, um dir die Serien von Guaytabó im Radio anzuhören. Daran kann ich mich noch gut erinnern.«
    »Aber ich hab immer gute Noten gekriegt.«
    Sie lächelt ihr unvermeidliches Lächeln. Der Erinnerungsfluss zwischen ihnen überspringt die unangenehmen Momente, die die Zeit fortgespült hat, erfasst nur die guten Tage, die denkwürdigen Ereignisse oder Begebenheiten, die durch den zeitlichen Abstand in einem günstigeren Licht erscheinen. Tamara ist sogar noch schöner, kaum zu glauben.
    »Und schreiben tust du nicht mehr, Mario?«
    »Nein, nicht mehr. Aber irgendwann vielleicht … «, fügt er hinzu und fühlt sich unbehaglich dabei. »Und deine Schwester?«
    »Aymara ist in Mailand, für fünf Jahre, mit ihrem Mann. Er ist Repräsentant des Industrieministeriums und Einkäufer. Sie hat zum zweiten Mal geheiratet, wusstest du das?«
    »Nein, wusste ich nicht. Aber schön für sie.«
    »Und was macht der Hasenzahn so, Mario? Hab ihn nie mehr wieder gesehen.«
    »Nichts Besonderes. Dass er Pädagogik studiert hat, weißt du ja. Aber er hat den Lehrerberuf an den Nagel gehängt und ist jetzt am Institut für Geschichtswissenschaften. Macht sich immer noch Gedanken darüber, was passiert wär, wenn Maceo nicht umgebracht worden wäre oder wenn die Engländer nicht aus Havanna fortgegangen wären. Über all die historischen Tragödien eben, die er sich ausdenkt.«
    »Und wie gehts Carlos?«
    Beim Namen Carlos würde er gerne tief in ihren Ausschnitt blicken. Der Dünne hat immer behauptet, Tamara und Aymara hätten große, dunkle Brustwarzen. Sieh dir ihre Lippen an, sagte er, sie haben was von Negerlippen. Seiner Theorie zufolge standen Farbton und Größe der Brustwarzen in direktem Zusammenhang mit den Lippen. Sie wollten die Theorie bei Tamara überprüfen, warteten darauf, dass sie sich bückte, um einen Stift aufzuheben, und beobachteten sie beim Sportunterricht; aber sie gehörte zu den Mädchen, die immer einen Büstenhalter trugen. Und heute, trägt sie heute keinen?
    »Dem gehts gut«, lügt er schließlich. »Und dir?«
    Sie nimmt ihm die leere Tasse ab und stellt sie auf den Glastisch neben ein romantisches Hochzeitsbild, auf dem sich Tamara und Rafael als glückliches Brautpaar umarmen und in einen ovalen Spiegel lächeln. Mario kommt der Gedanke, dass sie eigentlich »gut« antworten müsste, es aber nicht wagen wird. Ihr Mann ist verschwunden, vielleicht tot, und sie macht sich Sorgen. Doch sie sieht wirklich gut aus.
    Schließlich sagt sie: »Ich mache mir große Sorgen, Mario. Ich weiß nicht, ich hab so ein ungutes Gefühl … «
    »Was für ein Gefühl?«
    Sie schüttelt den Kopf, die widerspenstige Haarsträhne tanzt auf ihrer Stirn. Nervös reibt sie sich die Hände, in ihrem stets so sanften Blick liegt Panik. »Irgendetwas Schlimmes«, sagt sie und schaut ins Innere des stillen Hauses. »Es ist so merkwürdig, dass es nichts Gutes verheißen kann, nicht wahr? Übrigens, Mario, du kannst ruhig rauchen, wenn du

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