Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
Vom Netzwerk:
Tamara, und noch heute erinnerte sich Mario Conde an den fliegenden Rock des weißen Spitzenkleides, in dem das Mädchen über die Tanzfläche schwebte zu den Klängen der unvermeidlichen Schönen blauen Donau, die für ihn schwarz war mit all ihren grauen Schattierungen.
    »Fahr rechts ran«, befahl er dem Sargento, als sie die Calle Mayía Rodríguez überquerten, und schnippte seine Kippe aufs Straßenpflaster. Gegenüber, genau an der Ecke, stand das zweistöckige Haus der Zwillingsschwestern. Ein eindrucksvolles, funkelndes Gebäude mit langen, dunklen Fensterflächen, roten Ziegelsteinwänden und einem Garten, der von einer professionell gestutzten Hecke umgeben war, nicht zu hoch, um die Betonskulpturen – Imitationen der Werke Wifredo Lams – nicht zu verdecken.
    »Sieh mal an«, rief Manolo aus, »jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme und dieses Haus sehe, denke ich, so eins könnte mir auch gefallen. Hab sogar immer gedacht, in so einem Haus gäbs nie Probleme mit der Polizei und deshalb würde ich nie Gelegenheit haben, es von innen zu sehen.«
    »Nein, das ist kein Haus für Polizisten.«
    »Er hats bestimmt vom Staat gekriegt, oder?«
    »Nein, in diesem Fall nicht. Es gehörte den Eltern seiner Frau.«
    »Wie es wohl ist, in so einem Haus zu wohnen, was, Conde?«
    »Anders … Hör mal, Manolo, ich hab da eine Idee, die ich weiter verfolgen will: Nach der Neujahrsparty ist Rafael Morín verschwunden. Auf dieser Party könnte was vorgefallen sein, das mit seinem Verschwinden in Zusammenhang steht. Ich glaub nämlich einen Scheißdreck an Zufälle! Jetzt möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«
    Manolo lachte und schlug mit beiden Fäusten aufs Lenkrad. »El Conde bittet um einen Gefallen! Beruflich oder privat? Schieß los, ich erfülle dir jeden Wunsch.«
    »Also, hör zu: Halt die Klappe und lass mich die Befragung alleine durchführen. Ich glaube, so komme ich besser an Tamara ran.
    Auch sie kenne ich nämlich schon seit etlichen Jahren … Das ist der Gefallen, um den ich dich bitte. Ist das zu viel verlangt? Alles, was dir durch den Kopf geht, erzählst du mir später. Einverstanden?«
    »Einverstanden, Conde, kein Problem, kein Problem«, sagte der Sargento und bereitete sich geistig auf die Tortur vor, einem Verhör beizuwohnen, hinter dem er eine Abrechnung mit der Vergangenheit vermutete. Während er das Auto abschloss, sah er El Conde die Straße überqueren und zwischen der Kroton-Hecke und dem Kopf eines scheuenden Betonpferdes verschwinden, das mehr nach Picasso als nach Lam aussah. Nein, so ein Haus war und blieb unerreichbar für einen Polizisten.
     
    Ihre Augen sind zwei polierte, makellose, ein wenig feuchte Mandeln. Gerade feucht genug, um daran zu erinnern, dass es sich um wirkliche Augen handelt, die auch weinen können. Das künstlich gekräuselte Haar fällt ihr spiralför mig in die Stirn, verdeckt fast die hohen, dichten Augenbrauen. Der Mund versucht zu lächeln, er lächelt tatsächlich, und die gesunden, strahlend weißen Zähne sind ein offenes Lachen wert. Sie sieht nicht nach dreiunddreißig aus, denkt er, als er seine frühere Schulkameradin vor sich sieht. Niemand würde vermuten, dass sie eine Geburt hinter sich hat. Sie könnte immer noch im Ballett tanzen, auch wenn ihre Schönheit inzwischen tief- und untergründiger geworden ist. Sie ist füllig, fest im Fleisch, aufregend, ihre Reize und Formen stehen in voller Blüte. Sie könnte auch wieder den Rock der Schuluniform und die eng anliegende Bluse tragen, denkt er. Er rückt die Pistole im Gürtel zurecht und stellt ihr den Sargento vor, dem die Augen fast aus dem Kopf fallen. Mario würde am liebsten wieder gehen, doch er setzt sich neben Tamara aufs Sofa, und sie bietet Manolo einen Sessel an.
    Sie trägt ein weites Kleid aus feinem, weichem Stoff, leuchtend gelb, und er stellt fest, dass ihr der aggressive Farbton nichts anhaben kann. Auch in diesem Kleid ist sie die schönste Frau, die er jemals gekannt hat. Jetzt würde er nicht mehr am liebsten gehen, sondern liebend gerne den Arm um sie legen, als sie aufsteht und sagt:
    »Wie das Leben so spielt, nicht wahr? Wartet, ich bring euch Kaffee.«
    Sie entfernt sich durch den Korridor, und er betrachtet das Schauspiel ihrer Hinterbacken, die sich unter dem eng anliegenden, feinen gelben Stoff bewegen. Am Schenkelansatz zeichnet sich der Slip ab. El Conde tauscht mit Manolo, der kaum zu atmen wagt, einen Blick aus. Er erinnert sich daran, dass dieser prachtvolle

Weitere Kostenlose Bücher