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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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die Stimme, verärgert, aus der Fassung gebracht, fast ganz ohne Anmut.
    »Wer hat das gesagt?«
    »Maciques.«
    »So ein alter Schwätzer … Und dann heißt es immer, die Frauen … «
    »Was war nun mit dem Spanier, Tamara?«
    »Nichts, ein Missverständnis, es war nichts. Ist das alles, was du rausgekriegt hast?« Sie trinkt wieder einen Schluck.
    Er stützt das Kinn in die Handfläche und nimmt ihren Geruch wahr. Er beginnt sich so wohl zu fühlen, dass er Angst bekommt. »Ja, viel ist es nicht. Hab das Gefühl, wir haben uns den ganzen Tag im Kreis gedreht. Unser Job ist beschissener, als du dir vorstellen kannst.«
    »Doch, ich kann es mir vorstellen. Vor allem, seit ich unter Verdacht stehe.«
    »Das habe ich nie gesagt, Tamara, das weißt du. Theoretisch bist du verdächtig, ja, weil du die Person bist, die Rafael am nächsten steht und ihn zuletzt gesehen hat. Und weil du Gott weiß was für Motive hast oder haben könntest, ihn dir vom Hals zu schaffen. Ich hab dir doch gesagt, wir befinden uns am Anfang einer Ermittlung, und die kann ziemlich peinlich werden.«
    Sie trinkt ihr Glas leer und stellt es neben die Lampe. »Mario, findest du nicht, dass es albern ist, mir so was zu sagen?«
    »Warum hast du mich eigentlich immer ›Mario‹ genannt und nicht ›E1 Conde‹ wie die anderen aus unserer Klasse?«
    »Und warum wechselst du das Thema? Ehrlich, es ärgert mich, dass du so etwas von mir denken kannst.«
    »Wie soll ichs dir denn sonst sagen? Glaubst du, es wär angenehm, sein Leben mit so was zuzubringen? Meinst du, sich mit Mördern, Dieben, Betrügern und Vergewaltigern zu beschäftigen wär das pure Vergnügen? Und dabei noch liebenswürdig und gutgläubig zu sein?«
    Es gelingt ihr, ein schmales Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, während ihre Hand sich bemüht, die widerspenstige Haarsträhne aus ihrer Stirn zu verbannen. »El Conde, ja? Sag mir eins: Warum bist du zur Polizei gegangen? Um den lieben langen Tag herumzumeckern und zu jammern?«
    Er muss lächeln bei dieser Frage, die er in seinen Jahren als Ermittler am häufigsten und heute schon zum zweiten Mal gehört hat. Doch er ist der Meinung, dass sie eine Antwort verdient. »Ganz einfach. Ich bin aus zwei Gründen Polizist geworden. Einen davon kenne ich nicht. Hat was mit dem Schicksal zu tun, das mich dazu gebracht hat.«
    »Und der zweite Grund? Der, den du kennst?«, fragt sie erwartungsvoll. Es tut ihm Leid, dass er ihre Erwartung enttäuschen muss.
    »Der Zweite ist ganz einfach, Tamara. Vielleicht lachst du darüber, aber es ist die Wahrheit: weil ich nicht möchte, dass die Schweine ungestraft davonkommen.«
    »Ein richtiger Moralist«, stellt sie fest, nachdem sie alle Nuancen seiner Antwort erfasst hat. »Du bist ein armer Polizist, was nicht dasselbe ist wie ein armseliger Polizist … Möchtest du noch was trinken?«, fragt sie und nimmt ihr Glas vom Tischchen.
    Er betrachtet sein leeres Glas und zögert. Er liebt den herben Geschmack schottischen Whiskys und ist immer dazu aufgelegt, sich mit einer Flasche Ballantine’s zu besaufen. Und er fühlt sich so wohl bei ihr in dem kultivierten Dämmerlicht der Bibliothek und findet sie so schön … Doch dann antwortet er: »Nein, lass nur, ich hab noch nicht mal gefrühstückt.«
    »Willst du was essen?«
    »Ich will schon, ich muss sogar, aber nein, danke, ich bin noch verabredet«, sagt er beinahe bedauernd. »Der Dünne und seine Mutter warten mit dem Essen auf mich.«
    »Immer noch ein Herz und eine Seele, was?« Sie lächelt wieder.
    »Hör mal, ich hab dich noch gar nicht nach deinem Sohn gefragt«, sagt er und steht auf.
    »Klar, bei diesem ganzen Theater … Heute Mittag hab ich Mima gesagt, sie soll mit ihm zu Tante Teruca nach Santa Fe fahren. Zumindest bis Montag oder bis wir Genaueres wissen. Ich glaube, er würde das alles nicht verkraften … Mario, was kann Rafael zugestoßen sein?« Sie steht ebenfalls auf und verschränkt die Arme vor der Brust, so als hätte die Wärme des Whiskys ihren Körper plötzlich verlassen und ihr wäre sehr kalt.
    »Wenn wir das wüssten, Tamara! Aber mach dich mit dem Gedanken vertraut: Was immer es auch ist, es ist nichts Gutes. Gibst du mir die Namensliste der Partygäste?«
    Sie steht regungslos da, so als hätte sie nichts gehört. Dann löst sie die verschränkten Arme. »Hier«, antwortet sie und zieht ein Blatt Papier unter einer Zeitschrift hervor. »Ich habe alle aufgeschrieben, an die ich mich erinnere. Ich glaube, es

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