Ein perfektes Leben
lass nur, es gibt Polizisten, die haben sogar Schiss vor Hunden«, erwiderte El Conde und drückte dem Mann zum Abschied die Hand.
»Wie nett du zu mir bist!«, sagte Manolo auf dem Weg zum Auto. Trotz des kalten Windes stand seine Regenjacke offen. »Furchtbar witzig! Als wärs eine Sünde, kein Herz für Hunde zu haben.«
»Wahrscheinlich beißen sie dich deshalb«, erwiderte der Teniente. »Guck mal, wie du schwitzt, Kleiner.«
»Ja, mag ja alles stimmen, das mit dem Adrenalin und dem Geruch und dem ganzen Scheiß, aber warum gehen die immer nur auf mich?«
Sie stiegen ein. Manolo legte beide Hände aufs Steuer und atmete tief durch. »Schön, jetzt wissen wir so ungefähr, wie Zoila ist. Wird immer komplizierter, was?«
»Immer komplizierter, ja, aber halb so wild. Lass uns Folgendes machen: Ich hol die Gästeliste der Neujahrsparty ab, und du setzt zwei Leute auf Zaida und Zoilita an. Vor allem auf Zoilita. Ich will wissen, wo sie steckt und was sie mit all dem zu tun hat.«
»Und warum machen wirs nicht umgekehrt? Ich hol die Liste … «
»Hör auf, Manolo, mach du deine Arbeit und lass die Anspielungen.« El Conde blickte auf die Straße, fasziniert von den weißen Mittelstreifen, die vom Scheinwerferlicht gefressen wurden. Erst jetzt bemerkte er, dass es aufgehört hatte zu regnen. Aber zum Knurren seines hungrigen und gequälten Magens gesellte sich nun noch der Druck auf die Blase. »Hast du sonst noch einen Vorschlag zu machen?«
Manolo starrte vor sich auf den Asphalt.
»Ich rede mit dir, Manolo«, insistierte der Teniente.
»Na ja, ich glaub, es sind da verdammt viele Zufälle im Spiel. Aber das mit Zoilita ist mehr als ein Zufall, findest du nicht? Und ich glaube weiter, dass du mit Maciques sprechen solltest. Der Mann weiß mehr, als er sagt.«
»Wir sehen ihn am Montag in der Firma.«
»Ich würde vorher mit ihm sprechen.«
»Morgen, falls uns Zeit bleibt. In Ordnung?«
»In Ordnung.«
»Los, jetzt kannst du Musik machen, ich muss pinkeln.«
»Dann pinkel von mir aus, aber Musik kann ich nicht machen.«
»Was ist los, Kleiner? Zittern dir noch immer die Knie wegen dem Köter?«
»Nein, aber wegen dir können wir keine Musik hören. Die haben die Antenne geklaut, als der Wagen vor Zoilitas Haus stand.«
Sein Lieblingssong war von jeher Strawberry Fields gewesen. Er hatte ihn an irgendeinem Tag des Jahres 67 oder 68 bei seinem Cousin Juan Antonio zum ersten Mal gehört. Es war schrecklich heiß gewesen, und trotzdem hatten Juan Antonio und drei seiner Freunde – sie waren schon groß, bereits in der achten Klasse – im Zimmer seines Cousins gesessen, erinnerte er sich, so als wollten sie zum Propheten beten: auf dem Boden hockend, um einen uralten, von Holzwürmern zerfressenen Schallplattenapparat Marke RCA Victor herum. Auf dem Plattenteller lag eine schwarze Scheibe ohne Etikett. »Das ist ein Raubdruck, du Nasenbär, wie soll sie da ’n Etikett haben?«, sagte Juan Antonio zu ihm, ruppig wie immer. Mario setzte sich ebenfalls auf den Boden. Niemand wollte reden, nicht mal über Frauen. Tomy hob den Tonabnehmerarm an und legte ihn liebevoll auf den Plattenrand. Und dann begann der Song. Er verstand nichts, die Beatles waren nicht so gut zu hören wie auf einer richtigen Schallplatte. Aber die Älteren summten den Text mit, so als würden sie ihn kennen. Er wusste nur, dass field Park bedeutete, centerfield also Zentralpark, schloss er, doch das war erst sehr viel später. In diesem Moment spürte er, dass er einem einmaligen magischen Akt beiwohnte, und als das Lied zu Ende war, bat er, los, Tomy, spiels noch mal.
Und jetzt summte er den Song wieder und wusste nicht warum. Er wollte nicht wahrhaben, dass diese Melodie die Hymne seiner melancholischen Erinnerungen an eine Vergangenheit war, in der alles einfach und vollkommen gewesen war. Und obwohl er inzwischen wusste, was der Text bedeutete, zog er es vor, nicht daran zu denken, und gab sich lieber dem Gefühl hin, durch jenes Erdbeerfeld zu gehen, das er niemals gesehen hatte und an das er sich dennoch so gut erinnern konnte. Nur er und die Musik. Strawberry Fields kam ihm einfach so in den Sinn, ohne Ankündigung, und schob alles andere beiseite. Er sang, setzte an irgendeiner Stelle ein, fühlte sich besser. Er sah den dunklen, trist bedeckten Himmel nicht mehr, nicht das Bild von Rafael Morín, der Reden schwingend auf dem Podium im Eingang der Oberstufenschule stand. Er wollte weder rauchen noch hören, was Manolo ihm
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