Ein Pirat zum Verlieben
sich nicht länger leugnen. Alles ergab jetzt nur zu viel Sinn. Plötzlich hatte Tess das überwältigende Bedürfnis, einen Gegenstand aus ihrer Zeit anzufassen, und sie ging zu ihrer gelben Umhängetasche. Mit abgehackten Bewegungen zog sie ein weiches schwarzes Satinhemd und einen kurzen Kimono an.
Sie starrte den gelben Beutel an.
Meine Vergangenheit, dachte sie, bevor sie die Tasche quer durch den Raum schleuderte. Sie knallte an die Wand und landete mit einem satten Plopp auf dem Boden. Tess stand reglos mitten in der luxuriösen Kajüte und starrte ins Leere. Dann sank sie mit einem erstickten Stöhnen auf die Knie.
»Ich gehöre nicht hierher«, weinte sie und schlang beide Arme um sich. Tränen liefen über ihre Wangen und tropften auf ihre nackten Knie. »Ich gehöre nicht hierher!«
12
Dane starrte ihr nach. Die Qual, die er in ihren Augen gesehen hatte, legte sich wie eine zentnerschwere Last auf sein Herz. Lieber Gott, hatten die Ereignisse des heutigen Tages ihren verwirrten Geist endgültig zerstört? Dass sie den Delfin angeschrien hatte, war mit Sicherheit ein Beweis dafür, wie aufgewühlt sie war. Bitte, lieber Gott, betete er insgeheim, lass das nicht zu. Er wollte keine gestörte Tess. Er wollte sie gesund, bei klarem Verstand.
Das Ganze war auf jeden Fall sehr verwirrend. So viel Courage und Einfallsreichtum, wie sie heute bewiesen hatte, waren ihm noch bei keiner Frau begegnet. Er schaute den Mast hinauf, immer noch außerstande, sich zu erklären, wie es ihr gelungen war, an Bord der Brigg zu gelangen, und betrachtete dann die Männer, die auf dem Deck lagen. Sämtliche Wunden waren versorgt und sauber verbunden; einige der Männer hatten sogar Beruhigungsmittel bekommen. Das Mitgefühl der Dame war grenzenlos, was umso schwerer wog, als es Männern galt, die sie ausgesprochen schäbig behandelt hatten.
»Käpt’n?« Danes Blick wanderte zu dem Bootsmann. »Fühlt sich die Dame nicht wohl?«
Nicht wohl? Dane hätte beinahe gelacht. Das seelische Gleichgewicht der Dame war eindeutig aus den Fugen.
»Sie ist nur müde«, erklärte der Kapitän, während er beschloss, ihr ein wenig Zeit zu lassen, sich zu sammeln. Er rieb sich seinen Nacken. »Worüber haben Sie mit ihr gesprochen, Mr. Potts?«, wollte Dane wissen.
Zögernd berichtete Potts von ihrem Gespräch, wobei er sich fragte, wodurch er sie so aus der Fassung gebracht haben mochte.
Dane klopfte leise an die Tür seiner Kajüte. Keine Antwort. Als er sich vorbeugte, hörte er keinen Laut, und plötzlich stieg Panik in ihm auf. War sie überhaupt dort drinnen? Wanderte sie durch die Unterdecks? Oder war sie etwa – über Bord gesprungen? Er stieß die Tür auf und schaute sich suchend in der dämmerigen Kajüte um. Er wollte gerade wieder gehen, als ein schwacher Laut seine Aufmerksamkeit weckte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen versuchte er, das Geräusch zu lokalisieren.
»Ich gehöre nicht hierher! Ich gehöre nicht hierher!« Die geflüsterten Worte erreichten ihn, kurz bevor er sie sah. Sie kauerte auf den Fersen und schlug mit geballten Fäusten auf ihre Schenkel. Er konnte ihre gekrümmte Gestalt in dem Halbdunkel der Kajüte kaum ausmachen und nichts von ihrem Gesicht erkennen. Schwarzes Haar fiel über ihre Schultern nach vorn und streifte den Boden.
Sie bemerkte nicht, dass er sich vorsichtig näherte.
Ihre Schultern zuckten, und er hörte sie schniefen. Allmächtiger, sie weinte! Der Gedanke erschütterte ihn bis ins Mark. Seit ihrer Rettung hatte sie keine einzige Träne vergossen. Ach, Mädchen, ich wünschte, ich könnte dir helfen, dachte er betroffen, als er sah, wie sie den Kopf zurückwarf und hilflos schluchzte.
»Ich will nach Hause! Ich muss!«
»Nein!«, sagte er instinktiv.
Tess wandte ruckartig den Kopf und sprang auf. »Lassen Sie mich allein. Bitte!«, stieß sie hervor und wischte sich mit dem Handrücken die Wangen ab.
Danes Blick wurde magisch angezogen von ihren ungewöhnlich muskulösen Beinen, die unter dem kurzen Kleidungsstück aus schwarzem Satin – was auch immer das sein mochte – hervorlugten. Er schluckte. Gott, sie hatte einen herrlichen Körper!
»Bitte, Blackwell! Gehen Sie!«, rief sie mit gebrochener Stimme.
Er zwang sich, den Blick zu heben. »Lady Renfrew …«
»Nennen Sie mich nicht so!«, schrie sie ihn unvermittelt an. »Ich bin Tess! Hören Sie? Tess! Lassen Sie mich wenigstens sein, was ich bin, um Gottes willen!«
Sie taumelte, und er packte sie bei den
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