Ein Pirat zum Verlieben
nächsten weiter. Er hatte einen Finger verloren, und ein tiefer Schnitt klaffte in seiner Seite. Sie hätte sich fast übergeben, aber da sie dafür keine Zeit hatte, verband sie seine Hand und seinen Brustkorb und wies einen unverletzten Seemann an, den Druckverband zu halten. Dann ging sie zum nächsten Opfer und kniete sich auf den Boden.
»Sind Sie nicht Sikes?«, fragte sie, während sie sein blutiges Hemd aufriss und ihn untersuchte.
Es schien ihn zu schockieren, dass sie seinen Namen wusste. »Aye, Miss«, brachte er heraus. »Eine Kugel hat mich erwischt.«
»Das sehe ich.« Tess blickte auf. Er schien vor ihr mehr Angst als vor allem anderen zu haben. »Sie sind als Erster dran, Mr. Sikes. Mr. Potts!«, rief sie, weil ihr kein anderer Name einfiel.
»Ja, M’lady?«
»Ich brauche alles, was Sie an Medikamenten an Bord haben, saubere, in Streifen gerissene Tücher und Wasser – frisches Wasser«, betonte sie und schob ihren Zopf zurück, während sie zum nächsten ging. »Setzen Sie sofort jeden unverletzten Mann dazu ein, die Decks zu säubern!«, befahl sie. »Dann bringen Sie so viele Verwundete wie möglich an eine trockene Stelle.« Sie schaute sich um und fügte hinzu: »Wenn Sie eine finden können.«
Alles war entweder nass oder blutig. Deckhelfer waren bereits damit beschäftigt, die Toten wegzutragen, und Tess verdrängte den Gedanken, wer sie wohl sein mochten. Reines Adrenalin hielt sie aufrecht; ihre Nerven waren angespannt und ihr Verstand sperrte sich vor den Tatsachen, die offen vor ihr lagen.
»Verzeihen Sie bitte, M’lady, aber normalerweise versorgen der Koch und Mr. McPete die Wunden.«
»Dann schlage ich vor, dass Sie sie holen, Mr. Potts. Ich brauche Hilfe!«
Zufrieden, die Blutung ein wenig zum Stillstand gebracht zu haben, richtete Tess sich auf. So viele Verwundete, dachte sie, während sie die Augen fest schloss und ihren Nasenrücken massierte. Wie viele von ihnen würden überleben? Dreimal fand sie Wunden vor, die mit in einer stinkenden Masse getränkten Fetzen umwickelt waren. In einem modernen Krankenhaus hätte für diese Verletzungen eine oberflächliche Behandlung ausgereicht, aber hier konnten sich Infektionen verheerend auswirken. Meine Tasche, dachte sie und rannte los. Sie musste etwas darin haben, das helfen könnte. Sie hatte den Niedergang fast erreicht, als sie ein Geräusch, wie sie es noch nie gehört hatte, abrupt innehalten ließ.
Die Brigg erinnerte an ein Bestattungsboot der Wikinger – ein orangeroter Feuerball, der einen qualvollen Augenblick auf dem Meer schwebte, bevor er zerbarst. Feurige Fragmente des Schiffs wurden in den schwarzen Himmel geschleudert, und die leuchtenden Banner der Niederlage flatterten ins Meer, wo sie mit einem leisen Zischeln erloschen. Noch mehr Tote. Mit Tränen in den müden Augen schlich sich Tess nach unten.
Die Sea Witch hatte geringfügige Schäden erlitten – gesplittertes Holz und mehrere zerfetzte Segel –, aber im Vergleich mit der Brigg war sie so gut wie unversehrt davongekommen. Blackwell stand am Ruder und manövrierte sein Schiff geschickt von den herumtreibenden Wrackteilen weg. Auf seinen Befehl warfen seine Männer denjenigen von der Brigg, die überlebt hatten, Rettungsseile zu. Schließlich übergab Blackwell das Steuer dem Bootsführer und trat an die Reling. Man würde den Leuten von der Brigg die Möglichkeit lassen, einen Eid auf den Kapitän der Sea Witch zu schwören und seiner Crew beizutreten. Andernfalls würde man sie in Ketten legen, bis sie im nächsten Hafen an Land gesetzt werden konnten. Ein Akt der Barmherzigkeit, denn jeder andere Kapitän hätte die Gefangenen auf Gedeih und Verderb seiner Mannschaft ausgeliefert. Die Gefangenen waren sich dieser Tatsache bewusst, und so gewann die Fregatte zwölf neue Crewmitglieder. Der Kapitän nickte kurz, erteilte den Befehl, sich um die Verwundeten zu kümmern und ging weiter, um mit den Reparaturen an seinem Schiff anfangen zu lassen, die schwarzen Segel einzuholen und die Fahrt fortzusetzen.
Danes Muskeln spannten sich, als er das Tau anriss und es straff gespannt hielt, während ein Seemann das Spill sicherte. Er hörte eine Frauenstimme und drehte sich um. Lady Renfrew war vor kurzem mit einem Arm voller Utensilien wieder an Deck gekommen; wo sie die Dosen und Fläschchen aufgetrieben hatte, wusste er nicht, aber jetzt bemühte sie sich gerade nach Kräften, die Kugel aus Mr. Sikes herauszuholen. Bei Gott, sie war eine
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