Ein plötzlicher Todesfall
dem Bus nach Pagford. Könnten vögeln.«
Am Abend zuvor hatte er Gaia Bawden ans Geländer vor dem Gemeindesaal gedrückt, bis sie sich zurückgezogen und gekotzt hatte. Dann hatte sie wieder angefangen, ihn zu beschimpfen, daher hatte er sie stehen lassen und war nach Hause gegangen.
»Weià nicht«, sagte Fats. Er war so müde, so elend.
»Komm schon«, drängte Krystal.
Aus dem Arbeitszimmer hörte er Colins Stimme: »Das sagst du, aber wäre es zu erkennen? Was, wenn â¦Â«
»Colin, wir sollten darauf nicht näher eingehen, du solltest diese Gedanken nicht ernst nehmen.«
»Wie kannst du das sagen? Wie soll ich es denn nicht ernst nehmen? Wenn ich verantwortlich bin.«
»Geht klar«, sagte Fats zu Krystal. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten vor der Kneipe am Marktplatz.«
VIII
Ihr dringendes Bedürfnis, pinkeln zu müssen, trieb Samantha schlieÃlich aus dem Bett. Sie trank kaltes Wasser aus dem Hahn im Bad, bis ihr schlecht war, schluckte zwei Paracetamol und ging dann unter die Dusche.
Sie zog sich an, ohne dabei in den Spiegel zu sehen. Bei allem, was sie tat, lauschte sie, ob sie Miles irgendwo hörte, doch das Haus schien still zu sein. Vielleicht, dachte sie, hat er Lexie mitgenommen, fort von ihrer betrunkenen, notgeilen, sich jüngeren Männern an den Hals werfenden Mutter â¦
(»Der war mit Lexie in einer Klasse!«, hatte Miles sie angeschrien, sobald sie allein im Schlafzimmer waren. Sie hatte gewartet, bis er sich von der Tür entfernte, hatte sie dann aufgerissen und war ins Gästezimmer gerannt.)
Ãbelkeit und Demütigung kamen in Wellen über sie. Samantha wünschte, sie könnte vergessen, hätte einen Blackout, aber sie sah noch immer das Gesicht des Jungen vor sich, als sie sich auf ihn stürzte, wusste noch, wie sich sein Körper anfühlte, als sie sich an ihn presste, so dürr, so jung.
Wäre es Vikram Jawanda gewesen, hätte das Ganze eine gewisse Würde gehabt. Sie brauchte Kaffee. Sie konnte nicht ewig im Bad bleiben. Doch als sie sich umdrehte, um die Tür zu öffnen, sah sie sich im Spiegel, und beinahe hätte sie der Mut verlassen. Ihr Gesicht war aufgedunsen, ihre Augen verquollen, die Falten durch Druck und Austrocknung noch tiefer als sonst.
O Gott, was muss er von mir gedacht haben  â¦
Miles saà in der Küche, als sie hereinkam. Ohne ihn anzuschauen, ging sie direkt an den Schrank, in dem der Kaffee stand. Bevor sie den Griff berührt hatte, sagte er: »Ich hab welchen hier.«
»Danke.« Sie schenkte sich einen Becher ein, wobei sie jeglichen Blickkontakt vermied.
»Ich hab Lexie zu Mum und Dad rübergeschickt«, sagte Miles. »Wir müssen miteinander reden.«
Samantha setzte sich an den Küchentisch.
»Fang an«, forderte sie ihn auf.
»âºFang an.â¹ Mehr hast du nicht zu sagen?«
»Du willst doch reden.«
»Gestern Abend, auf der Geburtstagsfeier meines Vaters, habe ich dich gesucht und fand dich, als du mit einem Sechzehnjährigen rumgeknutscht â¦Â«
»Ja, mit einem Sechzehnjährigen«, sagte Samantha. »Legal. Wenigstens etwas.«
Entsetzt starrte er sie an.
»Findest du das komisch? Wenn du mich so betrunken erlebt hättest, dass ich nicht einmal gemerkt hätte â¦Â«
»Ich habe es gemerkt«, stellte Samantha klar.
Sie weigerte sich, so zu sein wie Shirley und alles mit einem blumigen kleinen Tischtuch aus kultivierter Schönfärberei zuzudecken. Sie wollte ehrlich sein, und sie wollte diese dicke Schicht aus Selbstgefälligkeit durchdringen, unter der sie den jungen Mann, den sie geliebt hatte, nicht mehr wiedererkannte.
»Was hast du gemerkt?«
Er hatte so augenscheinlich mit Verlegenheit und Reue gerechnet, dass sie beinahe lachen musste.
»Ich habe gemerkt, dass ich ihn geküsst habe.«
Er starrte sie an, und ihr Mut sank, weil sie wusste, was er als Nächstes sagen würde.
»Und wenn nun Lexie hereingekommen wäre?«
Darauf hatte Samantha keine Antwort. Bei dem Gedanken, Lexie könnte erfahren, was vorgefallen war, wäre sie am liebsten weggelaufen und nie wiedergekommen. Und wenn der Junge es ihr sagte? Die beiden waren zusammen zur Schule gegangen. Samantha hatte einen Augenblick vergessen, wie Pagford war â¦
»Was zum Teufel ist mit dir los?«
»Ich bin unglücklich«, erwiderte
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