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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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Haus. Währenddessen klammerte sie sich an die Aussicht auf ihren einzigen Trost wie an eine Rettungsleine.
    (Und während sie wartete, dachte sie an einen Abend vor nicht allzu langer Zeit, nach Ende des Rudertrainings, als sie durch die Dunkelheit zum Parkplatz beim Kanal gingen. Alle waren müde nach dem Rudern. Die Muskeln in den Armen und im Bauch schmerzten, aber es war ein guter, sauberer Schmerz. Nach dem Rudern schlief sie immer gut. Und dann hatte Krystal, die mit Sukhvinder am Ende der Gruppe ging, sie eine dämliche Paki-Schlampe genannt.
    Das war aus dem Nichts gekommen. Sie hatten alle mit Mr Fairbrother herumgeblödelt. Krystal glaubte, das sei komisch. Sie verwendete »scheiß« im Sinne von »sehr« und schien zwischen beidem keinen Unterschied zu erkennen. Jetzt benutzte sie »Paki« als anderen Ausdruck für »blöd« oder »beschränkt«. Sukhvinder waren die Gesichtszüge entglitten, und sie hatte das vertraute brennende Gefühl im Magen gespürt.
    Â» Was hast du gesagt?«
    Mr Fairbrother war zu Krystal herumgewirbelt. Keins der Mädchen hatte ihn je zuvor richtig wütend erlebt.
    Â»War nicht so gemeint«, hatte Krystal gesagt, halb erschrocken, halb trotzig. »Hab bloß Spaß gemacht. Die weiß, dass ich bloß Spaß gemacht hab. Weißt du doch, oder?«, hatte sie Sukhvinder angefaucht, die ihr feige murmelnd zugestimmt hatte.
    Â»Diesen Ausdruck will ich nie wieder von dir hören.«
    Sie wussten alle, wie sehr er Krystal mochte. Sie wussten alle, dass er Krystals Fahrtkosten für die gemeinsamen Ausflüge aus eigener Tasche bezahlt hatte. Niemand lachte über Krystals Witze lauter als Mr Fairbrother, denn sie konnte sehr witzig sein.
    Sie gingen weiter, und alle waren verlegen. Sukhvinder hatte Angst, Krystal anzuschauen, und hatte wie immer ein schlechtes Gewissen.
    Sie waren fast beim Minivan angekommen, als Krystal so leise sagte, dass es nicht mal Mr Fairbrother hören konnte: »Ich hab bloß Spaß gemacht.«
    Und Sukhvinder hatte rasch gesagt: »Ich weiß.«
    Â»Okay. ’tschuldigung.«
    Das kam wie eine einzige, undeutliche Silbe heraus, und Sukhvinder hielt es für taktvoller, nicht darauf einzugehen. Trotzdem wurde ihr wohler. Es gab ihr die Würde zurück. Auf dem Rückweg nach Pagford hatte sie, zum allerersten Mal, als Erste den Song der Mannschaft angestimmt und Krystal gebeten, mit Jay-Zs Rap zu beginnen.)
    Langsam, sehr langsam schien sich ihre Familie endlich schlafen zu legen. Jaswant brauchte unendlich lange im Bad, klapperte und schepperte herum, und Sukhvinder wartete, bis Jaz fertig war, bis die Unterhaltung ihrer Eltern verstummte und es ganz still im Haus wurde.
    Dann, endlich, bestand keine Gefahr mehr. Sie setzte sich auf und holte die Rasierklinge aus dem Loch im Ohr ihres alten Plüschhasen. Die Klinge hatte sie aus Vikrams Vorrat im Badezimmerschrank stibitzt. Sie stieg aus dem Bett, nahm die Taschenlampe vom Regal und eine Handvoll Papiertücher, verzog sich in den hintersten Winkel ihres Zimmers, in die kleine runde Ausbuchtung in der Ecke. Von hier aus, das wusste sie, war das Licht der Taschenlampe nicht zu sehen und würde auch nicht durch die Türritzen dringen. Sie setzte sich, den Rücken an die Wand gelehnt, schob den Ärmel ihres Nachthemds hoch und betrachtete im Licht der Taschenlampe die Schnitte, die vom letzten Mal geblieben waren, kreuz und quer und dunkel auf ihrem Arm, aber schon fast verheilt. Mit einem leichten Angstschauder, der in seiner Unmittelbarkeit eine wohltuende Erleichterung war, setzte sie die Klinge in der Mitte des Unterarms an und schnitt sich ins eigene Fleisch.
    Ein scharfer, heißer Schmerz, und sofort floss Blut. Dann verlängerte sie den Schnitt bis zum Ellbogen, drückte Papiertücher auf die lange Wunde und achtete darauf, dass nichts auf ihr Nachthemd oder den Teppich tropfte. Nach ein paar Minuten ritzte sie sich erneut, quer über den ersten Einschnitt, machte eine Leiter daraus, hielt inne, um zwischendurch zuzudrücken und abzutupfen. Die Klinge entzog ihren quälenden Gedanken den Schmerz und verwandelte ihn in ein animalisches Brennen von Nerven und Haut: Erleichterung und Entlastung bei jedem Schnitt.
    Schließlich wischte sie die Klinge ab und betrachtete, was sie da angerichtet hatte. Die sich kreuzenden Schnitte bluteten und schmerzten so sehr, dass ihr Tränen über die

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