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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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zweiundachtzig war, trug täglich Saris. Parminder hatte diese verhüllenden Eigenschaften nicht nötig, sie war noch genauso schlank, wie sie es mit zwanzig gewesen war. Trotzdem zog sie die lange, weiche Stoffbahn heraus und hielt sie vor ihren Morgenmantel, ließ sie bis auf die Füße fallen und betrachtete die zarte Stickerei. Den Sari zu tragen würde ihr vorkommen wie ein Insiderwitz zwischen Barry und ihr, wie das kuhgesichtige Haus und all die komischen Sachen, die Barry über Howard gesagt hatte, wenn sie nach endlosen, missgelaunten Ratssitzungen heimgingen.
    Ein schreckliches Gewicht lag auf Parminders Brust. Doch ermahnte Guru Granth Sahib die Freunde und Verwandten der Verstorbenen nicht, keine Trauer zu zeigen, sondern die Wiedervereinigung der ihnen Nahestehenden mit Gott zu feiern? Im Bemühen, verräterische Tränen zu unterdrücken, stimmte Parminder im Stillen das Nachtgebet an, das Kirtan Sohila.
    Mein Freund, ich ermahne dich, dies ist der geeignete Zeitpunkt, den Heiligen zu dienen.
    Erwirb göttliche Weisheit in dieser Welt und lebe in Frieden und Behaglichkeit in der nächsten.
    Das Leben verkürzt sich Tag und Nacht.
    O Seele, gehe zum Guru und ordne deine Angelegenheiten.
    Sukhvinder lag in ihrem dunklen Zimmer auf dem Bett und konnte hören, was der Rest der Familie machte. Von unten kam das leise Gemurmel des Fernsehers, unterbrochen vom gedämpften Gelächter ihres Bruders und ihres Vaters, die sich eine Comedyshow anschauten. Auf der anderen Seite des Flurs telefonierte ihre ältere Schwester mit einer ihrer zahlreichen Freundinnen. Sukhvinder am nächsten war ihre Mutter, die im eingebauten Kleiderschrank auf der anderen Seite der Wand kramte.
    Sukhvinder hatte die Vorhänge zugezogen und einen Zugluftstopper, geformt wie eine lange Wurst mit Dackelkopf, unten vor ihre Tür gelegt, die kein Schloss hatte. So verhinderte der Hund wenigstens, dass sie plötzlich aufflog. Allerdings konnte Sukhvinder davon ausgehen, dass niemand hereinkommen würde. Sie war, wo sie sein sollte, tat das, was sie tun sollte. Zumindest glaubten das alle.
    Sie hatte gerade eines ihrer furchtbaren täglichen Rituale durchgeführt: das Öffnen ihrer Facebookseite und das Löschen eines weiteren Postings von einem ihr unbekannten Absender. Auch wenn sie die Person, die sie mit diesen Nachrichten bombardierte, noch so oft blockierte, der Unbekannte änderte einfach sein Profil und schickte weitere. Sie wusste nie, wann eine eintraf. Heute war es ein Schwarzweißbild gewesen, die Kopie eines Zirkusplakats aus dem neunzehnten Jahrhundert.
    La Véritable Femme à Barbe, Miss Anne Jones Elliot.
    Das Plakat zeigte eine Frau in einem Spitzenkleid, mit langem, dunklem Haar und einem üppigen Bart und Schnurrbart.
    Sukhvinder war überzeugt, dass die Postings von Fats Wall kamen, wobei es auch jemand anders gewesen sein konnte. Dane Tully und seine Freunde zum Beispiel, die grunzende Affenlaute von sich gaben, wenn Sukhvinder im Englischunterricht etwas sagte. Dasselbe würden sie bei allen mit ihrer Hautfarbe machen, aber in der Winterdown gab es nur wenige dunkle Gesichter. Sie fühlte sich dadurch gedemütigt und kam sich dämlich vor, vor allem, da Mr Garry nie etwas dagegen unternahm. Er tat, als würde er es nicht hören oder nur als Hintergrundgeräusch wahrnehmen. Vielleicht fand auch er, dass Sukhvinder Kaur Jawanda ein Affe war, ein haariger Affe.
    Sukhvinder lag auf ihrer Bettdecke und wünschte sich von ganzem Herzen, tot zu sein. Wenn sie durch pure Willenskraft hätte Selbstmord begehen können, hätte sie es ohne Zögern getan. Der Tod war zu Mr Fairbrother gekommen, warum dann nicht auch zu ihr? Besser noch, warum konnten sie nicht tauschen? Niamh und Siobhan hätten ihren Vater wieder, und sie, Sukhvinder, könnte einfach ins Nichtssein übergehen, ausgelöscht, als wäre sie nie da gewesen.
    Ihr Selbstekel war wie ein Nesselhemd, ihr ganzer Körper kratzte und brannte davon. Sie musste sich zwingen, still zu liegen, es zu ertragen, sich nicht auf das Einzige zu stürzen, was half. Die ganze Familie musste im Bett sein, bevor sie zur Tat schreiten konnte. Aber es war eine Qual, hier zu liegen, ihrem Atem zu lauschen, sich des nutzlosen Gewichts ihres hässlichen und abscheulichen Körpers auf dem Bett bewusst zu sein. Sie stellte sich gerne vor, wie sie ertrank, in kühlem grünem Wasser

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