Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
Vom Netzwerk:
Wangen liefen. Sie würde wohl schlafen können, falls der Schmerz sie nicht wach hielt, aber zunächst musste sie zehn oder zwanzig Minuten warten, bis das Blut in den frischen Schnitten geronnen war. Sie zog die Knie an, schloss ihre feuchten Augen und lehnte sich an die Wand unter dem Fenster.
    Ein Teil ihrer Selbstverachtung war mit dem Blut herausgesickert. Ihre Gedanken wanderten zu Gaia Bawden, dem neuen Mädchen, das ein so unerklärliches Interesse an ihr entwickelt hatte. Gaia hätte mit jedem abhängen können, bei ihrem Aussehen und diesem Londoner Akzent, und doch setzte sie sich zum Mittagessen und im Bus immer zu Sukhvinder. Das verstand sie nicht. Sie war schon drauf und dran, Gaia zu fragen, was die sich dabei dachte, und wartete darauf, wann das neue Mädchen kapieren würde, dass sie, Sukhvinder, behaart und affenartig war, begriffsstutzig und dämlich, jemand, den man verachten, angrunzen und beschimpfen sollte. Zweifellos würde Gaia ihren Fehler bald erkennen, und Sukhvinder wäre wieder, wie immer, dem gelangweilten Mitleid ihrer ältesten Freundinnen, der Fairbrother-Zwillinge, ausgesetzt.

Samstag
    I
    Jeder Parkplatz in der Church Row war schon um neun Uhr morgens besetzt. Dunkel gekleidete Trauergäste kamen einzeln, paarweise und in Gruppen die Straße herauf und sammelten sich, wie Eisenspäne um einen Magneten, an St. Michael and All Saints. Der Pfad zum Kirchenportal war bald überfüllt, und alle, die keinen Platz mehr fanden, verteilten sich zwischen den Gräbern, suchten sich eine sichere Stelle bei den Grabsteinen, voller Scheu, auf den Toten zu stehen, aber auch nicht bereit, sich weiter vom Kirchenportal zu entfernen. Jeder wusste, dass die Kirchenbänke nicht ausreichen würden für all die Menschen, die gekommen waren, um sich von Barry Fairbrother zu verabschieden.
    Seine Kollegen aus der Bank, die sich um die auffällige Sweetlove-Grabstätte gesammelt hatten, wären froh gewesen, wenn sich der großkotzige Vertreter von der Zentrale mit seinem geistlosen Smalltalk und den plumpen Witzen davongemacht hätte. Lauren, Holly und Jennifer aus der Rudermannschaft hatten sich von ihren Eltern abgesetzt und drängten sich im Schatten der moosbedeckten Eibe zusammen. Gemeinderäte, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, standen mitten auf dem Weg und unterhielten sich in ernstem Ton: kahl werdende Köpfe und dicke Brillengläser, vereinzelte schwarze Strohhüte und Zuchtperlen. Männer aus den Squash- und Golfclubs begrüßten einander mit gedämpfter Stimme, alte Freunde aus Studienzeiten erkannten sich und kamen aufeinander zu. Und dazwischen mischte sich ganz Pagford, wie es aussah, in seiner schicksten und gedecktesten Kleidung. Die Luft summte von leisen Gesprächen, Gesichter blitzten auf, alle beobachteten und warteten.
    Tessa Walls bester Mantel aus grauer Wolle war so eng geschnitten, dass sie ihre Arme nicht über Brusthöhe heben konnte. Sie stand neben ihrem Sohn auf dem Pfad zur Kirche, lächelte und winkte Bekannten traurig zu, während sie gleichzeitig ihren Streit mit Fats fortsetzte und dabei die Lippen so unauffällig wie möglich bewegte.
    Â»Himmel noch mal, Stu. Er war der beste Freund deines Vaters. Nimm doch wenigstens dieses eine Mal Rücksicht.«
    Â»Niemand hat mir gesagt, dass es so scheiß lange dauern würde. Du hast gesagt, es wäre um halb zwölf zu Ende.«
    Â»Hör auf zu fluchen. Ich habe gesagt, wir würden St. Michael gegen halb zwölf verlassen.«
    Â»Also hab ich gedacht, dass es dann zu Ende ist. Und hab mich mit Arf verabredet.«
    Â»Aber du musst mit zur Beisetzung kommen. Dein Vater ist einer der Sargträger! Ruf Arf an und sag ihm, ihr könnt euch erst morgen treffen.«
    Â»Er kann morgen nicht. Außerdem hab ich mein Handy nicht dabei. Pingel hat gesagt, ich darf es nicht mit in die Kirche nehmen.«
    Â»Nenn deinen Vater nicht Pingel! Du kannst Arf von meinem aus anrufen«, sagte Tessa und wühlte in ihrer Tasche.
    Â»Ich weiß seine Nummer nicht auswendig«, log Fats kaltschnäuzig.
    Colin und sie hatten am Abend zuvor ohne Fats gegessen. Er war mit dem Rad zu Andrew gefahren, weil sie zusammen an ihrem Englischprojekt arbeiten wollten. Das hatte Fats zumindest seiner Mutter erzählt, und Tessa hatte so getan, als glaubte sie ihm. Ihr hatte es bestens gepasst, Fats aus dem Weg zu haben, so konnte er

Weitere Kostenlose Bücher