Ein Pyrenäenbuch
Aggressives
dabei, und eine ‹baskische Frage› gibt es nicht. Hier will niemand erlöst
werden, weil sich niemand bedrückt fühlt.
Der erste Eindruck ist, mitten
im Gebirge: Seeleute. Für dieses Gefühl gibt es keine rationale Begründung;
ihre Gesichter, ihre ruhige Art, sich zu geben, die selbstbewußte Kraft, die
innere Freiheit — alles das läßt an das Meer denken, an Fischerboote und Hafenmenschen.
Ob ihre Vorfahren ein seefahrendes Volk gewesen sind — wer weiß das. Aber der
Unterschied zum Franzosen aus dem Binnenland ist außerordentlich groß. Die
Männer sehen gut aus, sie haben schmale Köpfe, durchgearbeitete Züge, man fühlt
bei jedem Bauemkopf: das ist einer für sich!
Die Sitten waren lange ganz
patriarchalisch und sind es zum Teil heute noch. Der pater familias hat eine
unbegrenzte Regierungsgewalt, die Frau dient, aber ungedrückt; das
Züchtigungsrecht der Eltern wird fast bis zur Volljährigkeit der Kinder
ausgeübt. Ich habe mich erkundigt, ob denn nicht die Tatsache, daß viele Basken
im französischen Heer in so ganz andern Gegenden gedient hätten, diese
Familienverfassung langsam über den Haufen wirft. Man hat mir mit Nein
geantwortet, und ich denke, daß das richtig ist. Diese konservative Tradition
hat ihren guten Grund.
Großgrundbesitzer gibt es in
diesen Landstrichen wenig, die Bauern sind frei. Aber sie haben alle das größte
Interesse daran, sich ihren Landbesitz ungeschmälert zu erhalten, und dem steht
das französisdre Erbrecht entgegen, das kein Fideikommiß kennt. Was nun —?
Nun haben wir dieselbe
Erscheinung wie damals beim preußischen Landadel, als sein Fideikommiß gesetzlich
abgeschafft wurde. Die preußischen Adligen wie die Basken: beide Gruppen halten
das alte Familienrecht durch Übereinkunft fest, die benachteiligten Erben
verzichten, und es gibt bei beiden Gruppen keinen Fall, wo die jüngeren
Geschwister dem Ältesten das Vatergut durch einen Prozeß streitig machten, den
sie unfehlbar gewinnen würden. Die Eltern verschaffen dem Ältesten die
Möglichkeit, den Jüngern ihren Erbteil abzukaufen, manchmal wird diese Schuld
hypothekiert; ist ein Sohn im geistlichen Stand, so verzichtet er als
Angehöriger einer Kirche, die an dieser alten Landeinteilung auf das äußerste
interessiert ist — auf alle Fälle umgehen sie das ihnen unbequeme Gesetz. Der
Landbesitz soll ungeteilt erhalten bleiben. Und er bleibt erhalten. (Auch in
Andorra habe ich etwas Ähnliches gefunden.)
Dieses Land der Basken nun ist
weich, angenehm, begrünt und wellig, soweit es vor den Pyrenäen in der Ebene
hegt, wie überhaupt der Fuß dieses Gebirges das Schönste ist, was ich dort zu
sehen bekommen habe, und das fast überall: von Bayonne bis Perpignan, vom
Atlantischen Ozean bis zum Mittelländischen Meer. Les Basses-Pyrénées bergen
noch genug Klüfte und schwierige Bergspitzen, davon hält sich der Landbesitz
natürlich fern. Ihre Häuser sind geweißte Steinbauten unter zierartiger
Verwendung von dunkeln Holzbalken — die modernen Architekten haben diesen Stil
für Villen und Landhäuser der Gegend adaptiert. Diese Holzbalken finden sich
hauptsächlich in Labourd; in Navarra weniger, da sehen die Häuser düstrer aus
und in Soule sind sie lediglich aus Stein. Alle Häuser stehen mit der
fensterlosen Rückwand nach Westen, von da kommt der böseste Wind. Die Kirchen
konnte man so nicht bauen, wollte man nicht mit allen liturgischen Vorschriften
brechen: die Kirchentür ist also häufig durch eine Mauer gegen den Wind
geschützt.
Fast alle Häuser haben kleine
Balkons. Es gibt elende Bauernbaracken und gepflegte Häuser, die gut im Stand
sind. Die Kirchen haben mitunter merkwürdige alte Glockentürme, in denen
primitiv die Glocken baumeln. Und sie haben innen etwas sehr Merkwürdiges:
Galerien für die Männer. Diese Trennung wird sonst nicht oft gefunden, und sie
hat einen eigentümlichen Grund.
In den baskischen Provinzen
gibt es viele Schafe. Wenn man nun wissen will, wo in Frankreich im Mittelalter
die Zauberei zu Hause gewesen ist, so braucht man sich nur auf der Karte die
Gegenden anzumerken, wo Ziegenbock und Schafbock vorkommen — dann hat man sie
unweigerlich. Diese Zauberei, deren letzte Rudimente heute noch in plumpem
Aberglauben vorhanden sind, ist rein katholischen Ursprungs: es ist sozusagen
eine gotische Magie. Da ist keinerlei Beeinflussung vom Osten her, nichts
Asiatisches — es ist der gute alte römische Teufel, der da sein Wesen treibt.
Bauernmagie
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