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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Reliquien, Gold- und
Silbergesticktes, ein Dorn von... ein Stückchen Knochen des... Der Sakristan
muß wohl irgendeine Störung der innem Sekretion haben: er ist wachsgelb, er hat
dünne, blutleere Lippen, einen merkwürdigen Mikrokephalenschädel. Er ruht
nicht, bis ich alles gesehen habe, und verschont mich mit keiner Einzelheit.
    Oben in der Kirche sitzen die
Mönche und beten fett und laut ein Nachmittagsgebet. Ihre Stimmen hallen. Unten
beichtet einer, sein Kopf verschwindet hinter dem Vorhang des Beichtstuhls, und
ein herauslangender Priesterarm legt sich dem Sprechenden beruhigend um die
Schulter. «Nichts», hat ein kluger Mann gesagt, «macht dem Spanier soviel Vergnügen,
als einen Menschen totzuschlagen und nachher in der Kirche ausführlich und
zerknirscht darüber zu sprechen.» Auf Zehenspitzen gehe ich durch die
Kirchentür ins Freie.
    Von außen sieht das Kloster
aus, als säßen in den wohlgeheizten Stuben zwölf Mönche und drehten die Daumen
gemächlich umeinander. Aber man kann einen großen, schön eingerichteten
Lesesaal sehen, und sie haben auch eine Bibliothek. Ich unterhalte mich mit
einem spanischen Geistlichen, wir sprechen lateinisch. Das heißt: er spricht
lateinisch. Ich sage alle meine Fehler aus alten Schulaufgaben auf, konstruiere
ut mit dem Indikativ und benehme mich recht scheußlich. Si vales, bene est —
ego valeo. Zum Abschied sage ich gar nichts mehr. Denn wenn ich jetzt noch
«Bonus dies!» rufe, dann wird mir der geistliche Herr wohl eine kleben.
     
     

Saint-Jean-Pied-de-Port: Die Basken
     
    Ein Graf von Montmorency rühmte
einst vor einem Basken das Alter seines Namens, seines Adels, seiner Familie,
rühmte, von welch großen Männern er abstammte. Der Baske erwiderte: «Wir
Basken, Herr Graf: wir stammen überhaupt nicht ab!»
    So alt dünken sie sich. Sie
haben es gut: man kann ihnen nichts beweisen. Man weiß nicht, wer sie sind,
weiß nicht, woher sie stammen, was für eine Sprache das ist, die sie sprechen —
nichts. Denn kein Latein, keine romanische, keine nordische Sprache hilft dir
hier. Eine Sprache, in der die Worte:
    «Wer durch diese Türe tritt,
mag sich wie zu Hause fühlen»:
    Atehan psatzen dubena bere
etchean da
    heißen — die ist für uns wohl
nicht zu enträtseln. Es hat sie auch keiner enträtselt. Versucht habens viele.
Eine unaufgeklärte wissenschaftliche Sache? Das läßt keinen deutschen Professor
ruhen. So sehen wir denn eine ganze Reihe Deutscher unter den Forschern Eskual
Herrias, wie die Basken ihr Land nennen: Wilhelm von Humboldt verstand und
sprach baskisch, und Hübner, Uhlenbeck, Linschmann, der Begründer einer
Baskischen Gesellschaft zu Berlin; Phillips, Schuchardt in Graz und viele andre
haben an diesem Rätsel gearbeitet. Gelöst hats keiner. Es gibt da Schulen und
Gruppen; erste Theorie: die Basken seien vom Süden gekommen, zweite: sie seien
vom Norden gekommen, dritte: sie seien Asiaten... für alles gibt es Beweise,
für nichts gibt es Beweise. Nur für eine traurige Sache gibt es ein Anzeichen:
diese Sprache kann eines absehbaren Tages aussterben.
    Zunächst bildet sie sich schwer
fort. Sie formt keine neuen Wörter für neue Begriffe, und wenn die Basken
‹Bleistift› sagen wollen, so müssen sie sich, da die Sprache das Ding nicht
kennt, des französischen Wortes bedienen, dem sie die baskische Endung ‹a›
anhängen: ‹crayona›. Die alte Generation sprach nur baskisch, und ich habe
Leute gesehen und ihnen zugehört, mit denen ich mich gar nicht verständigen
konnte; die jüngere Generation versteht fast durchweg französisch und spricht
also beides — aber es gibt schon junge Leute und ganze Dörfer, da ist es aus,
und die baskischen Forscher unter den Franzosen schildern mit Trauer, wie man
sie auf Forschungsreisen von einem Dorf ins andre geschickt hat: Ja, bei uns
spricht man nicht mehr baskisch... Aber vielleicht in Izaba... Die Sprache kann
erlöschen.
    Die Rasse sobald nicht. Sie
sind ungefähr fünfhunderttausend Leute, nicht mehr — vier Provinzen liegen auf
spanischem Boden, drei auf französischem: Labourd, das ist die westlichste, mit
Bayonne und Saint-Jean-de-Luz; Nieder-Navarra mit Saint-Jean-Pied-de-Port und
Soule mit Mauleon. Die Basken kehren sich nicht an die bürokratische
französische Departementseinteilung, die ja offiziell alle die schönen Namen
wie Bretagne, Normandie überhaupt nicht kennt, sie nennen ihre Provinzen mit
den alten Namen. Aber so stolz sie auf sich sind: es ist nichts

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