Ein Pyrenäenbuch
freundlich gebaut; im Innern luftige Hallen; an den Säulen und
Wänden auf den Postamenten standen Apostel und Heilige in verzückten
Stellungen, ihre Marterwerkzeuge ostentativ in der Hand haltend; und unten in
den Stühlen lagerten schwarze, gebeugte Massen: lebendige Menschen. Gleich beim
Eintritt empfing mich ein eigentümliches Plätschern, Klirren, Schnurren und
Rasseln, wie von englischen Webstühlen. Ich glaubte wirklich anfangs, es seien
irgendwo im Keller versteckt Häckselmaschinen, die arbeiten, oder hinterm Chor
eine Lokomobile, die Getreide drischt. Aber bald fiel mir auf, daß in den
schnurrenden Geräuschen regelmäßig wiederkehrende Perioden von bestimmter Länge
zu unterscheiden waren, und daß, vergleichbar dem auf jenen Webstühlen
Gewobenem, bestimmte Dessins und Farbeneinschüsse in maschinensicherer
Abwechslung immer wieder kamen und gingen. Und hier waren die Dessins zu meiner
nicht geringen Verwunderung Sprachperioden und Satzkomplexe. ‹Maria, Gebenedeiteb
und ‹jetzt und in der Stunde des Absterbens› waren die stets wie auf Stramin
gewobenen, vorüberrauschenden Figuren und Lautnuancen. Und nun merkte ich wohl,
daß es die im Kirchenschiff kauernde Menge war — lebende Menschen —, von deren
Lippen und Zähnen dieses Schnurren und Brausen kam. Vom, ganz weit vorn, stand
in einem weißen Kittel der Vorarbeiter, und was er lallend und gurgelnd — und
wie ich wohl sah, in seiner Arbeit eminent geschickt — angab, woben und
schnurrten die andern nach; zuerst die Alten in den vorderen Kirchenstühlen;
und dann hinten die Fabrikmädchen; und was diese mit den fleißigen Zähnchen
lieferten, klang, als wenn man Erbsen in irdene Töpfe prasselnd fallen läßt; so
hellen Diskant woben die kleinen Finger. Lang, lang blieb ich stehen, wohl eine
halbe Stunde, stumm und erstarrt, und konnte es nicht fassen. Fast so lang, wie
vor dem Rheinfall bei Schaffhausen; eingelullt von dem ewig gleichen Rauschen
und Brausen und ganz versunken in Gedanken, und in Gedanken fortgetragen in
eine kleine, ferne protestantische Kirche im Norden, wo ich als Knabe mein
stummes Gebet still zu Gott sprach — bis endlich der Wasserfall aufhörte, und
das Brausen ein Ende nahm; und ich erwachte; und nun wohl erkannte: das, was
ich gehört hatte, waren die Gebetgeräusche der katholischen Kirche ; und
das Webestück, die Arbeit, die sie vollbracht hatten, nannten sie —: Gebet .»
Das war es.
Langsam verließ ich den Raum,
langsam fuhr der Wagen davon. Hinten in den Bergen, in denen jetzt der Nebel
aufstieg, lag das Kloster des heiligen Ignatius von Loyola.
Das Kloster zu Ronceval ist
jenseits der Grenze.
Der Botschaftssekretär an der
spanischen Botschaft in Paris hatte gesagt: «Die Erlaubnis zur mehrmaligen
Überschreitung der Grenze können wir Ihnen nicht geben. Die Franzosen haben
Ihnen das erlaubt? Wenn Sie das wollen, müßten wir nach Madrid
telegrafieren...» Nein, dachte ich. Primo de Riveran persönlich angehen, ihn am
Ende stören, wenn er grade kühnlich sein Haupt in einer Untertanin Schoß legt —
nein. Und jedesmal, wenn ich die spanische Grenze überschritt, ohne Bestechung,
ohne Beziehung, ohne Schleichwege, jedesmal gedachte ich des Sekretärs in
Dankbarkeit und gehorsamer Liebe. «Ich bin ein anständiges Mädchen!» rief die
spanische Grenze in Paris. Aber wenn man nachher der Sache näher trat, da gings
schon.
Ronceval — ganz richtig: das
ist da, wo Roland erschlagen wurde. Man zeigt heute noch die Kampfkeulen, mit
denen aber das will ja niemand wissen.
Das Kloster liegt ein paar
Wegstunden hinter Saint-Jean-Pied-de-Port, und man fährt durch schöne
Waldschluchten, über denen Geier kreisen; sie äugen herunter, ob sie nicht in
einer Schafherde etwas einkaufen können. Der Weg dreht sich höher, bis etwa zu
tausend Metern’, dann klettert er über einen Gebirgspaß, und da steht das
gemütliche Gebäude.
Das Kloster war einmal. Es gibt
da noch einen Abt und elf Mönche, die immens reich sind, alles Land im Umkreis
gehört ihnen — aber Ronceval ist längst nicht mehr, was es war. Ein großes
Trumm Häuser ist zu einem Gefüge miteinander verbunden, er umgibt Innenhöfe und
die Kirche. Die Dächer haben sie mit einem scheußlichen Blech belegen lassen,
und innen ist Zentralheizung, denn es ist sehr kalt hier im Winter. Aber ich
glaube: ein Kloster mit Zentralheizung, das ist überhaupt kein Kloster.
Der Sakristan zeigt die
Kirchenschätze. Auf gehäuft liegen da Kleinodien,
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