Ein Pyrenäenbuch
alle
wackligen Geländer, alles kam noch einmal wieder. Einmal begegneten mir
Menschen: ein Mann mit einem verbundnen Kopf (vielleicht machte er diese Tour
schon zum zweitenmal), ein Mädchen und eine Frau von rund hundertzweiunddreißig
Jahren, gewiß ein Zeichen für die Gefährlichkeit dieser Gebirgspartie. Guide
nécessaire.
Ach, wer mich jetzt
fotografiert hätte! Leise vor mich hin brabbelnd, tolpatschte ich dahin — und
eine Wut im Leibe! Nie wieder Gebirge! Verdammt, warum war ich nicht an die See
gefahren, an einen ganz und gar glatten Strand —! Die Felsen und die Bäume
redete ich gar nicht mehr an, die waren Partei. Aber ich fragte meinen
Bergstock, ob ich das vielleicht nötig gehabt hatte, in so eine gänzlich
irrsinnige Schlucht hineinzuklettem, in eine ganz und gar fremde Schlucht.
Cacaoueta! Was ist das überhaupt für ein Name! So heißt man nicht. Laßt mich
nur hier herauskommen — ich will der Länge lang im Bett liegen, nie mehr
aufstehen, überhaupt nie wieder in meinem ganzen Leben einen Fuß in so ein
vertracktes Gebirge setzen...
Und dann kam die Gittertür, der
Weg wurde immer glatter — und was das für ein Gefühl war, als ich wieder
Wiesengrund unter den Füßen hatte...! Ich sah zurück und fand die Schlucht ganz
passabel. Menschen sind so eingerichtet.
Ein Uhr. Jetzt kamen die
Schulkinder in Hamburg aus den Klassen, du hattest noch schnell deinem
Stubennachbar einen Akt zugeschrieben, den er heute nachmittag auf seinem Platz
vorfinden würde, eine besonders knifflige und unangenehme Geschichte, und es
gab gar keine Möglichkeit für ihn, sich die Sache vom Halse zu schaffen... Und
jetzt gingen alle Leute mal eben frühstücken. Ein Rundstück wahm —
Der Weg stieg an, und eine
Minute später lag ich platt auf dem Boden in der hellen Sonne. Er lebt! er ist
da! es behielt ihn nicht.
Beinah —
Beinah, und die schönen Verse
des verdrehten Konrad Weichberger waren anwendbar.
Wirst
du im Album einst entdecken
mein
Antlitz, rund vor Bier,
dann
sage: Wo mag der wohl stecken?
Das
war ein Freund von mir.
Lieber Jakopp, ich wünsche dir,
daß du recht bald Senator wirst. Nur, damit ich einmal zu dir sagen kann: «Herr
Senator! Hummel, Hummel!»
Was hast du darauf zu erwidern
—? Dein lieber
Pau
Von der Terrasse der Place
Royale in Pau über die Ebene zu sehen — auf die Gebirgskette der Pyrenäen: das
ist wie eine Symphonie in A-Dur. Mit Graten und Spitzen, hohen Nasen und graden
Linien, mit den geschwungnen Vorbergen steht weit die große Wand der Berge und
davor die kerzengraden Pappeln. Vom Gebirge her weht der Wind. Das ist schön.
Drehe ich mich herum, so steht
da, mit dem Rücken zu mir: Er. ‹Er› ist in Pau allemal Heinrich der Vierte.
Hier ist er geboren, hier hat er gelebt. Das ist nun nicht einfach, zu einem
fremden Fürsten in Beziehung zu treten. In der Schule haben wir ihn nur unter
dem Kleingedruckten gelernt, er sitzt nicht so fest drin wie etwa Friedrich der
Zweite, der heute unter die Räuber gefallen ist, oder wie Barbarossa, der sich
nie rasieren ließ. Henri Quatre, Le Vert Galant, der Mann, der
«Ventre-Saint-Gris!» rief, wenn es etwas zu fluchen gab — es dauert eine Weile,
bis man «‘n Morgen, Heinrich!» zu ihm sagt. Aber wenn es soweit ist, dann sagt
man es nicht mehr.
Er war der Eduard der Siebente
seiner Zeit, was eine Schmeichelei für den dicken Engländer bedeutet. Er hatte
dessen Sinn und Freude fürs Wohlleben, die gleiche Verschlagenheit,
Geschicklichkeit, Menschenkenntnis, verschmitzte Ruhe — und wieviel mehr! Das
schillert in seinen Briefen, er verteilt Schmeicheleien wie Ringe, und niemand
sieht in der ersten Freude nach, ob sie echt sind
— er setzt alles durch, was er
will, fast alles. Er liebt die Jagd, den guten Wein, eben den von Jurançon, und
die Frauen. Um uns zu erklären, wie er die liebte, gibt es nur eine
Vergleichsmöglichkeit: das ist d’Andrade als Don Juan. So einer war er. Er
hatte einen Spitzbart, und unter dem Schnurrbart, der sich leicht kräuselte,
dünne, kräftige Lippen, mit denen man lächeln, einen Wein abschmecken, küssen
konnte. Die Totenmaske Friedrichs des Zweiten im Schloß zu Monbijou sagt: Ich
will nicht mehr leben; ich bin hinüber. Die Totenmaske Heinrichs des Vierten im
Schloß zu Pau sagt: Ich habe gelebt, und es war sehr schön zu leben; jetzt muß
ich schlafen gehn. Und ein leiser Zug von Verachtung ist auch dabei. Sie haben
ihn in Paris erstochen, er war
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