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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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siebenundfünfzig Jahre alt, ein Mann im besten
Alter. Er war immer im besten Alter.
    Wie haben sie ihn geliebt! Er
war so schlau — er wollte geliebt werden, und sie liebten ihn. Er hatte keinen
Krückstock, mit dem er herumwankte und schrie: «Wartet! Ich will euch mich
lieben lehren!» Gott bewahre. Er lächelte, teilte Spitznamen und eine Gunst
aus, die nicht einmal viel kostete, obgleich er so viel Geld ausgab... Die
Rechnungslegung seines Hofes ist noch völlig erhalten, da gibt es keine
Ausgabe, die nicht ihre Begründung hätte, und was für Begründungen! Die Damen
erhielten Geld, Sänften, Pferde, Schmuck; einmal: «Für einen
Freundschaftsdienst». Er muß die beiden Arten der Liebe gut gekannt haben.
    Das Schloß ist restauriert,
aber trotzdem gut erhalten. Es hängen da flandrische Gobelins, vor denen man
gar nichts mehr sagt, und bestände nicht auch hier die verdammte Unsitte,
Besucher während der Besichtigung zu entmündigen und unter Kuratel eines
früheren Unteroffiziers zu stellen, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat,
so fühlte man sich restlos glücklich. So aber treibt jener die Hammelherden
unter Absingung eines törichten Rezitativs durch die Räume, und man hammelt
traurig mit. Das hohe holzgeschnitzte Geburtsbett steht noch da, in dem
Heinrichs Mutter mit dem Großvater sang, um den Schmerz der Wehen zu übertönen,
mit Wein hat man den Kleinen abgerieben und genetzt, als er erschien. Es ist
ihm sehr gut bekommen. Davon wußte der Hammelhirt nichts, aber ich erkannte das
Bett nach den Bildern wieder, und wir waren sehr erfreut, uns endlich
persönlich kennenzulernen.
    Was die Wiege, eine große
Schildkrötenschale, anlangt, so hat sich schon der Graf Pückler-Muskau halb
krank über ihre Aufstellung geärgert. Er war im Jahre 1834 in Pau und schalt
heftig über den Trödelbudengeschmack, mit dem das Schloß hergerichtet war. Nim,
besser ist es damit heute schon, der Konservator ist ein sehr beschlagener und
kenntnisreicher Mann, und wenn er noch seine Unteroffiziere abschaffte, so wäre
alles gut. Die dicken Mauern, deren ganze Tiefe erst an den Fenstern sichtbar
wird, die hohen Wände, die riesigen Tische... man versteht das Leben dieser
Leute, wenn man ihre Wohnungen kennt. Es ist ein bißchen schwer, das
Museumshafte wegzudenken und sich wirkliche Wohnräume vorzustellen, so wie ja
auch Goethe nicht in dieser kalten Pracht gewohnt hat, die sie, mit Ausnahme
von zwei unvergeßlichen Stuben, da in Weimar aufgebaut haben. Wenn man aber in
Pau versucht, sich die leise Unordnung vorzuträumen, die erst eine bewohnte
Wohnung ausmacht, jenes praktische Durcheinander, zurechtgerückte Stühle, einen
Säbel, an die Wand gelehnt, einen Hut auf dem Tisch... dann versteht man.
Freilich mußten achttausend Bauern schlecht wohnen und hart arbeiten, damit der
hier so leben konnte, aber als Symbol geraubter Arbeitskraft ist es immer noch
schöner als eine große Hypothekenbank. Der König hats gewagt — der Bankier hat
heimlich ein böses Gewissen und das merkwürdige Gefühl, als rutschte ihm etwas
unter dem Hintern weg. Was am Schloß von Pau so besticht, ist die massive
Lebensfreude, die gleichzeitig sublimiert ist: ein Hammelbraten auf dem Tisch,
so groß, daß man vom Hinsehen Magenerweiterung bekommt — aber die bezauberndste
Innenarchitektur, die sich denken läßt. Er hat gern gelebt, und vom groben bis zum
feinen beherrschte er alle Raster.
    Sicher gabs auch Kummer und
Ärger. Gar nicht zu sprechen von den Stänkereien mit den Lieferanten — hatten
ihn nicht einmal sogar die ‹cagots› verklagt? Ist das zu glauben?
    Die Cagots...
    Man sagt, sie stammten von den
Sarazenen ab; es waren degenerierte Menschen, deren Schilddrüse nicht in
Ordnung war, wie man das im Gebirge häufig vorfindet. Die ‹Großkropfeten›,
sozusagen. Aber wie verschieden haben im Mittelalter Tirol und die Pyrenäen auf
diese Kranken reagiert! Die Cagots in Frankreich waren eine ‹race maudite›,
fast völlig von aller Gemeinschaft ausgeschlossen: sie durften keine
Bäckerläden betreten, sie durften lediglich untereinander heiraten, wodurch
sich die Degeneration nur noch verschlimmerte, und sie hatten eigene
Kircheneingänge, denn ganz wollte die Allesumfassende sie denn doch nicht
ausstoßen. In Luz, südlich von Lourdes, hat die uralte Kirche, die aussieht wie
eine Festung, noch eine kleine Extratür, da sind sie hindurchgeschlüpft. Sie
hatten einen roten Lappen auf dem Kleid zu tragen, damit man sie

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