Ein Pyrenäenbuch
schon von
weitem erkennen konnte. Es stand schlimmer mit ihnen als mit dem Henker.
Im Tal von Argeies gab es
viele, bei Luchon und im Distrikt Ariege. Heute sind sie fast ausgestorben, man
muß schon sehr suchen, wenn man sie sehen will. Es sind nicht eigentlich
Kretins — es ist eine allgemeine körperliche Verkümmerung, gegen deren Folgen
sie zum Teil immun geworden sind.
Und weil sie sich damals
hauptsächlich als Zimmerleute ihr Brot verdienten, so bauten sie auch für den
König, sie gerieten in Zahlungsstreitigkeiten mit ihm und konnten es doch
wagen, ihn zu verklagen. Ganz rechtlos waren sie nicht.
Der König hatte so seinen
Kummer: politischen und finanziellen, denn er verfügte über viel Geld und gab
stets eine Kleinigkeit mehr aus als er hatte — und da war seine Frau, die immer
dieselbe blieb, und seine Geliebten, die nicht immer dieselben blieben...
Erfaßte ihn nicht zum Schluß diese widersinnige, also echte Leidenschaft zu
Charlotte von Montmorency, die er verheiratete, um sie bequemer und
unauffälliger in seiner Nähe zu haben? Und wie war er aufs Ehrlichste erschrocken,
verstört und beleidigt, als ihr Mann, der Prinz von Condi, sie nach Belgien
brachte! «Ich bin nur Haut und Knochen», schrieb er. «Nichts macht mir mehr
Spaß, ich will allein sein...» Er hat sie nie wiedergesehen.
Wie sie ihn liebten! Schon um
1680 wollten sie seine Büste aufstellen, aber Ludwig der Vierzehnte schickte
ihnen, hochmütig, die eigne. Sie bauten das königliche Geschenk auf und
versahen es mit einer Unterschrift. «Celui-ci est le petit-fils de notre bon Henri.» Und im Jahre 1843 bekamen sie
nun ihren guten Heinrich, ‹Lou nouste Henric», wie es im Dialekt heißt. Er
steht noch auf dem Platz, aber ich habe ihn gut gekannt: er ist nicht getroffen.
Jetzt klingt rund um den Guten
das Konzert aus einem Musikpavillon der achtziger Jahre, aus denen sich auch
die Kapelle, der Dirigent und das Publikum herübergerettet haben. Ist das noch
sein Pau —?
«Die Leute haben dabei
gewonnen, ich weiß. Sie haben keinen Krach mehr mit den Nachbarn und leben
friedlich; aus Paris schickt man ihnen die neuen Erfindungen und die Zeitung:
Ruhe, Umsatz und Wohlbefinden sind zweifellos größer geworden. Aber wir haben
doch dabei zugesetzt: an Stelle von dreißig kleinen Hauptstädten, die alle
brodelten und eigene Gedanken hatten, stehen da nun dreißig Provinzstädte, ohne
Leben: Filialen. Die Frauen wollen einen neuen Hut haben, die Männer rauchen
ihre Zigarette im Cafe — das ist ihr Leben; aus dümmlichen Zeitungen klauben
sie sich alte, abgenutzte Ideen heraus. Früher hatten sie politische Köpfe,
Höfe und das Lautenspiel der Liebe.» Soweit Taine.
Ist das noch Heinrichs Stadt —?
Pau hat alles, was so ein Ort braucht, der im Winter das Zentrum des
Schneesports ist: große Hotels, Kanalisation, Licht, gaunernde Geschäftsleute,
es ist alles da. Sie haben sich bei der Stadt ein ‹Palais d’Hiver› aufgebaut,
eine Scheußlichkeit aus Glas und Eisen; ein verstaubter Bakkarat-Saal gähnt mit
eingemummten Fauteuils, und wer verloren hat, sieht sich die Innenausstattung
an und stirbt am Schlag.
Das Kurkonzert spielt noch
immer wie eine Spieluhr, jetzt haben sie eine Carmen-Ouvertüre am Wickel, sie
hört sich an wie «Schlaf, Kindchen, schlaf...!» Die Damen wandeln, die Männer
trinken Bier und stärkende Limonaden, sanfte Winde wehen. Oben steht Heinrich
der Vierte und lächelt. Er lächelt über die Nachkommen seiner Schreiber, die
sich da Musik vormachen lassen; hier muß etwas vorgegangen sein, denkt er...
«Ist denn kein Conde da?» Nein, es ist keiner da. Der König sieht sich um. Er
steht ganz allein.
Eaux-Bonnes
Eaux-Bonnes, in ehrlichem
Deutsch ‹Gutwasser› geheißen, besteht eigentlich nur aus einem langen Platz,
mit Bäumen darauf, von hochstöckigen Häusern eingeschlossen, dahinter sind die
Berge, die passen auf, daß sich keiner erkältet. Denn Eaux-Bonnes ist einer
jener zahllosen Kurplätze der Pyrenäen, in denen Kranke baden, brausen,
gurgeln, inhalieren und sich sicherlich oft genug heilen können. Die
Schwefelquellen, deren jedes dieser Bäder viele besitzt, kommen heiß aus dem
Boden geschossen, riechen therapeutisch und tun viel Gutes.
Früher scheinen diese heißen
Quellen auch andern eigentümlichen Zwecken gedient zu haben, denn ich finde in
einem alten Schmöker ‹Voyage aux Pyrénées Françaises et Espagnoles par J. P.
P., Paris 1812› eine merkwürdige Stelle, in
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