Ein Pyrenäenbuch
der der Verfasser von den
Praktiken kranker Damen berichtet; sie benutzen die Quellen gegen ihre Leiden
viel zu heiß und nun gar noch innerlich, was ihnen Schaden brächte. Motiv: «Le besoin des
plaisirs, plus encore que le besoin de sa santé, inspire le gout des bains et
l’usage des injections minérales. Des cris, des exclamations de plaisir
échappent et trahissent la baigneuse, qui ne cherche que des sensations.» Wie gut, daß die Welt fortschreitet
und heute solches nimmermehr vorkommt; jeder Mann eine Quelle.
Weil mich die hohen Häuser auf
dem Platz in Eaux-Bonnes so hohl ansehen, gehe ich davon; Eaux-Bonnes ist leer,
die Saison ist im Absterben. Da stehen nur noch wenige Männer in der Halle des
Thermal-Gebäudes und gurgeln mit Schwefelwasser. Burr, machen sie und gurr —
«Zu Zeiten Franz des Ersten», sagt Taine, «waren die Quellen von Eaux-Bonnes
gut für Verwundungen, sie hießen Arkebusier-Quellen, und man schickte die
Soldaten dahin, die bei Pavia verwundet worden waren. Heute heilen sie mehr
Kehlkopf- und Lungenkranke. In hundert Jahren werden sie vielleicht wieder
etwas anders heilen, denn in jedem Jahrhundert macht die Heilwissenschaft neue
Fortschritte.»
Ich will nicht Burr-gurr machen
— der Nebel steigt und verhüllt das Tal, die ‹Promenade Horizontale› ist
entzwei, alle Leute warnen, man solle da nicht gehen, mit den Laufbrücken sei
das so eine Sache... Im Hotel schleicht die graue Langeweile durch alle Gänge.
Sonderbar, welch altmodischen
Eindruck diese Pyrenäen-Badeorte machen! Die Mode, in die Pyrenäen zu gehen,
stammt etwa aus dem Jahre 1860, und Napoleon III. hat damals nach sich gezogen,
was an Snobs gut und teuer war. Aber diese Leute stiegen nicht auf die Berge,
sie sahen sich ein Schauspiel von unten an, das für sie eine Art
Theaterdekoration war. Und daher schmecken wohl so viele Pyrenäen-Badeorte nach
Vergangenheit.
Nicht etwa, als ob sie nicht
hübsch eingerichtet wären! Die Engländer haben sich überall das laufende Wasser
erzwungen, das ihnen von den Wildbächen in die Hotels gluckert; kein Zimmer
daselbst, in dem man nicht etwas fände, was eine baltische Baronin einmal mit
dem Wort ‹Intimitäten-Schüssel› bezeichnet hat — nein, soweit ist alles in
Ordnung. Aber die Leute, der Schmuck in den Gebäuden, das Gehaben des ganzen
Ortes, selbst die Bäume und die Gärten — alles sieht aus wie 1875. Jetzt komme
ich in das Lesezimmer hinunter, und da hätten wir eine Gruppe, einen
Holzschnitt aus der Offenbach-Zeit, nur die Kostüme sind schwach erneuert. Ein
junges Mädchen wippt im Schaukelstuhl, eine Mama paßt auf, und ein alter Herr
steht hinter den Damen und sagt süße Sachen. «Der Graf, ein gut erhaltener
Fünfziger, beugte sich leicht über die Schulter der schweigsamen Juliette.
‹Comtesse›, sagte er, ‹wenn Sie wüßten...»› Fortsetzung im nächsten Heft.
Soweit Gutwasser.
Heißwasser — Eaux-Chaudes — ist
noch viel ausgestopfter. Das ist nun auch wirtschaftlich pleite. Der betrübte Badediener
führt mich durch das Bad, das unter Sequester steht, sie haben in keiner Zelle
mehr einen Stuhl, wegen Gepfändetwordenseins. Das Badehaus ist ein riesiger
alter Kasten, mit sicherlich guten Quellen, aber trotz der schönen Namen, die
sie führen: ‹L’Esquirette Chaude› und ‹Le Rey› und ‹Minvielle› — sind sie zur
Zeit nicht hoch im ärztlichen Kurs notiert, und so hat sich eine plötzlich
hinzugekommene Überspekulation, gegen die es keine heißen Quellen gibt, gerächt
— das Bad ist nur noch eine sich mühsam dahinschleppende Sache.
Es ist so still hier, besonders
wenn niemand badet... Das Hotel hat ein Fremdenbuch; es reicht weit zurück.
18.
Juni 1857
Otto
Freiherr von Ende
Königl.
Preußischer Offizier.
Sein Kollege aus dem Jahre 1916
ist ausführlicher.
«Wer
hier nicht zufrieden war, braucht nur in die Schützengräben zu gehen —
vielleicht gefällts ihm da besser!»
Das hat der Kapitän Passepoil
eingetragen, und er war sicherlich sehr stolz darauf... Das gleicht sich
überall, diese da.
Für den Abend gibt es ein
wanderndes Zeitkino. Weil ein Grammophon hinter der Leinwand steht, wird
behauptet, der Film spreche. «Tadellose Nachahmung von Wasser,
Menschenschritten und Pferden, Kanonengebrüll und Platzen der Granaten...» Wer
möchte das nicht hören! Aber was sind das für blutrünstige Leute! ‹Die Tanks
bei Verdun› — ‹Im Bagno› — und: «Dritter Teil. ‹Rache und Sühne!› Im letzten
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