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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Lourdes, Gospa od Lourda, Nuestra Señora de Lourdes,
Miesac Mary Lourdes, Nossa Senhora de Lourdes — die Jungfrau Marie. Hier ist
sie dem kleinen Bauernmädchen aus Lourdes zum erstenmal erschienen und hat
Quelle und Heilung vorausgesagt. Vor ihr bekreuzigen sich alle, dann küssen sie
den Stein, auf dem sie steht, der Stein ist glatt und speckig von den vielen
Händen, die ihn gestreichelt haben. Ich denke an die verzückte, rasche Gebärde,
mit der unter der Erde, in den Grotten von Bétharram, in der Nähe von Lourdes,
eine Frau jenen Stalaktiten anfaßte, von dem es hieß, er bringe Glück. Sie
sprang auf ihn zu, um keinen Augenblick zu versäumen. Nun preßt die
Menschenmauer nach vorn. Ein Altar ist aufgerichtet, da brennen die Kerzen,
fortwährend klappert Geld in die Kästen, und die Erde ist bedeckt mit Briefen,
Kupfermünzen, Bildern, Blumen, Glasperlen, Weihgeschenken. Langsam, langsam
werden wir wieder hinausgedrückt. Am Ausgang hängen alte Krücken, die haben die
Geheilten aufgehängt, und ein Gipskorsett ist auch dabei.
    Vor der Grotte, in Wagen und
Bahren: die Kranken. Sie sitzen und liegen da, die Augen zum Himmel
aufgerichtet, die Träger, die sie umgeben, beten — die Verwandten beten, manche
sind halb bewußtlos und haben die Augen geschlossen und fiebern. Sie halten
Rosenkränze in den Fingern. Viele singen.
    Neugierige und Touristen stehen
unter den Leuten, es wird fotografiert, gesprochen, in Büchern geblättert.
    Bahren im Getümmel,
Krankenwagen, gestützte Kranke — alles geht leise und_freundlich vor sich. An
der Kirche, an den Plätzen, überall sind im Freien Kanzeln aufgestellt, da
predigen die fremden Priester, die mit den Pilgerzügen gekommen sind, in ihren
Sprachen. Und nun ist es Mittag, und dann leert sich langsam der Platz.
    So fängt der erste Tag der
Pilger an, die in den ‹trains blancs› ankommen, den großen Krankenzügen, mit
Liegevorrichtungen für die Kranken, gestopft voll, mit Krankenschwestern und
Pflegern, mit dem Bischof oder Erzbischof der Diözese, dem weltlichen Leiter,
der die ermäßigten Billetts besorgt, und mit einem Arzt. Wenn sie ankommen,
verteilen sie sich in der Stadt — die großen Unterkunftsbaracken gibt es nicht
mehr.
    Die Frommen gehen gleich nach
der Ankunft zum Gottesdienst, zum Quellenbad, zur ‹piscine›; große Anschläge
verkünden überall in der Stadt den Dienst des betreffenden Zugs, alles ist
Tradition, alles ist vorausgesehen und eingespielt.
    Ich sehe mich in den
Hospitälern um: im Krankenhaus Notre-Dame-des-Douleurs, das trägt seinen Namen
mit Recht; im Asyl, das nahe der Basilika liegt. Da ist der große Speisesaal
mit den langen Tischen, sauber gedeckt; wird die Querwand beiseite geschoben,
so sehen die Kranken in eine Kapelle und können so dem Gottesdienst beiwohnen,
der für sie abgehalten wird. Im Vorgarten, auf allen Wegen Kranke. Man sieht
schreckliche Gesichter.
    Bevor es wieder beginnt, gehe
ich durch die Kirchen. Die Basilika hoch oben, eine kleinere Kapelle und eine
Krypta. Alles blinkt vor Neuheit, die Wände überladen mit Gold, Schmuck und
Ornamenten. Votivtafel an Votivtafel. Kriegsorden, Haarlocken — eine
Verkrüppelte hat unter Glas und Rahmen die braunen Nägel aufbewahrt, die ihr
durch die Hand gewachsen waren und von denen sie nun befreit ist. Auf den
Tafeln selten ein voller Name, immer nur die Anfangsbuchstaben. Die Bänke sind
jetzt nicht so überfüllt, auch einige Beichtstühle sind leer, was sonst den
ganzen Tag nicht vorkommt. Die Gläubigen, die hier umhergehen und alles
bewundern, tragen Abzeichen — jeder Pilgerzug hat das seine. Man sieht silbrige
Münzen und bunte Bänder aller Farben und Länder. Einmal hörte ich deutsch
sprechen.
    Um drei Uhr nachmittags ist der
große Platz gesperrt, hinter den Rändern summt und wimmelt es an den langen
Leinen, mit denen er abgegrenzt ist. Hier wird nachher die große Prozession
entlanggehen, und obgleich es noch lange nicht halb fünf ist, stehen und sitzen
da schon viele Frauen mit Kindern und auch Männer. Sie haben sich Klappstühle
mitgebracht, die man für drei Francs kaufen kann, und warten unter den Bäumen.
Noch werden viele Kranke an die Grotte gerollt und zum Bad; nachmittags sind es
nur die Schwerkranken, die gebadet werden. Wieder stehen alle dichtgedrängt um
den Priester, wieder ruhen die Kranken auf den Stühlen, wieder schallen die
Gebete. Lauter, lauter.
    «Hosanna, hosanna au Fils de
David!»
    Erst klingt mir das

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