Ein Pyrenäenbuch
faites que
je voie!»
Hörst du es, Gott! Dein Kind
ist blind, wir haben gebetet, geglaubt, sind zur Messe gegangen und stehen nun
hier, bittend, heischend, verlangend, befehlend —!
«Seigneur, faites que
je marche!»
Jetzt haben sie ihn: Er ist ihr
Gott, gewiß, und er kann mit ihnen machen, was ihm beliebt. Aber der Priester
hat nun einen roten Kopf bekommen vor Anstrengung und Kraft, mit Klammem hat er
die Masse gepackt, und wenn es auch ausgestreckte Hände sind: Fäuste ragen da
auf, sie drohen, sie wollen die Gnade vom Himmel herunterreißen, sie haben sie
verdient, her damit —!
Die Kranken sitzen bleich in
der Mitte. Es ist so wohltuend, Mittelpunkt zu sein! Endlich einmal heraus aus
den engen Stuben, wo man sich schon an ihre Leiden gewöhnt hatte, ohne das
matte Mitleid der abgestumpften Verwandten, die sanften Zusprüche der
Geistlichen und die gleichgültigen Sprüche der Ärzte, die ja doch nicht helfen
können... Nichts da. Hier wird eine Schlacht geschlagen. Hier sind es die
Kranken, die in der Mitte stehen, alle sehen sie an, aller Blicke umfassen sie,
das stärkt. Und dann wird einer nach dem andern in den Baderaum geschoben.
Hier soll niemand dabei sein.
Die Krankenwärter passen scharf auf, daß keiner während der Bäder den Innenraum
betritt. Kein profanes Auge soll das Mysterium sehen.
Schlägt man den Leinenvorhang
zurück, der den innem Baderaum von der Außenwelt trennt, so sieht man, wiederum
hinter Vorhängen, die eingelassenen Steinwannen. Hier stehen die Kranken an der
Wand und entkleiden sich langsam — viele steigen mit dem Hemd hinein, manche,
die Schwerkranken, werden nackt ausgezogen. Ununterbrochen schallt das Beten
von draußen herein, wie ein dumpfer Marschchor, scharf, rechthaberisch, laut.
Auch hier drinnen wird gebetet. Da heben sie einen Krüppel ins Wasser, die
Krankenwärter beten dabei und schwenken ihn auf und ab, tauchen ihn bis zum
Hals ein. Ein kleiner Junge schreit, er will nicht gebadet werden, nein! Ich
befühle das Wasser — es ist eiskalt. Einer nach dem andern steigt hinein, wird
hineingehoben, wie ein Wickelkind, und sie beten und beten. Priester stehen
dabei und sehen zu.
Sei es, daß sie Furcht haben,
die heilige Quelle könne nicht so viel hergeben, sei es aus diesem seltsamen
und verständlichen Glauben heraus, Wasser, über das so viele Gebete hingebraust
sind, wirke stärker als frisches — : dieses Wasser wird nur zweimal am Tage
gewechselt, nachmittags und abends. Hunderte baden also in demselben Bad, und
das Wasser ist fettig und bleigrau. Wunden, Eiter, Schorf, alles wird
hineingetaucht. Nur wenn sich jemand vergißt, erneuern sie es sofort. Niemand
schrickt zurück; vielleicht wissen sie es nicht. Ein völlig Degenerierter
zittert nackt auf einem Stuhl, auf den man ihn hingesetzt hat, er hat Beinchen
wie ein Kind; vorsichtig wird ein verklebter Verband abgenommen, ein Gesicht
verzieht sich. Das eilige, brummelnde Gebete der Badewärter hebt sich vom
dunklen Lautteppich des Chors ab.
«Mère du Sauveur, priez
pour nous!»
«Mère du Sauveur, priez
pour nous!»
Vor Kälte schlotternd ziehen
sich alte Männer an, das nasse Hemd unter dem Rock, andere werden angekleidet
wie Puppen. Ein Strom von Elend rinnt durch diese Kabinen. Ich war gebeten
worden, nicht in die Frauenkabinen zu gehen, und ich habe es nicht getan.
Daneben liegen die Wasserhähne,
aus denen man Trinkwasser schöpfen darf, da stehen sie mit Blechkannen und
Bechern und Gläsern, manche schöpfen aus der hohlen Hand. Man sieht Bauern, die
unglaubliche Mengen Wasser zu sich nehmen — viel hilft viel. Ich drücke mich
zur Grotte hindurch.
Es ist eine kleine Felsgrotte,
ein paar Meter tief, mit einem schmiedeeisernen Gitter. ‹Entree› und ‹Sortie›
steht daran, auf blauen Emailschildem in weißer Schrift; einen Augenblick lang
zieht ein Straßenschild an meinem Auge vorüber... Seitlich an der Grotte steht
eine Kanzel, auf ihr ein Geistlicher im Ornat, der die Betenden ermahnt,
tröstet, anfeuert. Seine Worte hallen über die Köpfe hinweg und zerflattem in
der Luft. Es ist sehr schwer, im Freien zu predigen... Langsam, unendlich
langsam schiebt sich die Menge an der Kanzel vorbei, in die Grotte. Alle halten
Kerzen in den Händen, und da flammt ein großer Lichtständer, das Stearin tropft
und bildet merkwürdige Figuren. Zwei Meter vom Boden entfernt, in einer Höhlung
oben in den Steinen, steht sie: Notre-Dame de Lourdes, Our Lady of Lourdes,
Onze Lieve Vrouw van
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