Ein Pyrenäenbuch
seinen übelriechenden Verband mit dem Wasser aus der Grotte
von Lourdes.
Er blieb am Leben.
Ärztliches Attest, Bericht und
Krankengeschichte finden sich im großen Werk von Fr.-Xavier Schoepfer, des
Bischofs von Tarbes und Lourdes, ‹Lourdes pendant la Guerre›, nach
vielen Hirtenbriefen für das Wohl Frankreichs, gegen die lutherischen
Modemisten Deutschlands, was der Bischof genau wissen muß, denn er ist zu
Wettolsheim im Elsaß geboren. Die Kirchenparade in Lourdes ist authentisch, die
Beteiligung grade dieses Soldaten ist erfunden.
Und so wurde der Soldat Paul
Colin vom Tode gerettet, bewahrt und gesegnet von seiner Kirche.
«Mit Gott, Soldaten!» — «Nimm
dieses Wasser, mein Sohn...»
Denn die christliche Kirche
treibt nicht nur die Gläubigen in die Gräben und segnet die Maschinen, die zum
Mord bestimmt sind — sie heilt auch die Wunden, die der Mord geschlagen hat,
und ist allemal dabei.
2. Ein Tag
In den kleinen schmutzigen
Straßen ist noch kein rechtes Leben, da gehen und kommen einzelne Leute, die
Pilger schlafen wohl noch, denn mitternachts ist eine Messe, und während der
ganzen Nacht knien Betende in der Basilika.
Jedes Haus ist ein Hotel; vom
mittlern Gasthof bis zur Ausspannung sind alle Arten vertreten, und in jedem
zweiten Haus ist ein Andenkenladen. Aber alles das will ich jetzt gar nicht
sehen. Zur Grotte! zur Grotte!
Nun wird das Gewühl stärker,
Wagen quetschen sich zwischen den Leuten hindurch, die elektrische Bahn
poltert, noch mehr Läden, noch mehr Straßenverkäufer, die da brave
Gruppenaufnahmen, Andenken, Kerzen und Vanille feilhalten — die ganze Luft
riecht nach Vanille. Da: die Basilika.
Eine moderne hohe graue Kirche,
rechts und links mit zwei weitausladenden Rampen, die den Platz wie zwei Arme
umfassen. Einzelne Leute gehen durch einen Torbogen der Rampe zur Grotte. Und
da sind auch die ersten Kranken.
Sie wanken auf Krücken, sie
schleppen sich am Stock, sie werden auf Wagen dorthin gebracht, zweirädrige
Sitzstühle, an denen vorn ein blaues Schild hängt: «Schenkung von Fräulein M.
P. 1904». Die Wägelchen werden von Krankenträgern geschoben: das sind Leute,
die einen Ledergurt um die Schultern gehängt haben, es ist der Tragriemen, an
den sie die Bahren knüpfen. Ich gehe ihnen nach.
Rechts ist eine
Hügellandschaft, von einem Eisenbahndamm durchzogen. Links ragt die Längsseite
der Kirche auf, Bäume stehen davor, und unter ihnen schallt es. Da stehen die
Leute und beten. Und hier sind die Badezellen.
Es sind drei Abteilungen, in
denen befinden sich die eingelassenen Wannen mit dem Quellwasser. Davor ist ein
eingezäunter Platz, hier steht Krankenwagen an Krankenwagen. Man sieht bleiche,
abgezehrte, fiebrige Gesichter. Männer auf der einen Seite, Frauen auf der
andern. Vor ihnen ein Geistlicher. Er betet laut. Die Masse unter den Bäumen,
an die Gitterstangen gedrückt, spricht die Worte nach. Wie eine Stimme
steigt das auf.
Der Priester: «Seigneur, nous
vous adorons!»
Die Masse: «Seigneur,
nous vous adorons!»
Der Priester:
«Seigneur, nous vous adorons!»
Die Masse: «Seigneur,
nous vous adorons!»
Der Priester:
«Seigneur, si vous voulez, vous pouvez me guérir!»
Die Masse: «Seigneur,
si vous voulez, vous pouvez me guérir!»
Jede Formel wird dreimal
gesprochen, die Worte hämmern sich ein.
«Seigneur, dites
seulernent une parole et je serai guéri!» Die
Pilger, die Angehörigen der Kranken und Fremde wiederholen sorgfältig Satz für
Satz. Manche — besonders Frauen — stehen demütig da: ich will ja auch alles
tun, wie es vorgeschrieben ist... Viele nehmen die Kreuzstellung ein.
Hier hängt alles vom Vorbeter
ab. Ist das ein Mann mit schwacher Stimme, der schlecht artikuliert, dann gibt
es Vormittage, an denen vierhundert Leute einfach Gebete aufsagen. Steht da
aber einer, der, breitschultrig und robust, seine Stimme aufklingen läßt, die
Vokale singt und Konsonanten herausschnellt, hat er den Funken: dann rieselt es
durch die Menschen, es zündet, und nun ist es da.
«Jesus, Fils de Marie,
ayez pitié de nous!»
Der Vorbeter setzt die Worte
scharf an, er betont sie auf der ersten Silbe — «piiitié!» sagt er — «piiitié»
sagen die Leute. Rings um mich angespannte Lippen, konzentrierte Augen,
verhauchende Hingabe. Es ist so viel Wille in ihnen!
Und nun wie ein Schrei, ein Ruf
aus tiefster Not, ein Befehl, ein Kommando —!
«Seigneur, faites que
je voie!»
«Seigneur, faites que
je voie!»
«Seigneur,
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