Ein Pyrenäenbuch
gnädigen Frau zusammenlief: Großer Krach in der
Küche. «Was hatten Sie mit diesem Mann...?» rief die gnädige Frau. Das Mädchen
antwortete irgend etwas hervorragend doppeldeutiges und fügte nach Angabe des
Franzosen hinzu: «Und dann — liebe Frau — dann ist er gefobel!» — Und den erstaunt
Lauschenden zur Erklärung: «Gefobel — en allemand ça veut dire... enfin...
ç’est une expression très forte!»
Da hat man nun Gräfinnen
verführt, Briefträgerstöchter geküßt, ältern Damen zu einer Erinnerung fürs
ganze Leben verholfen — und weiß nicht einmal, was das ist: gefobel! Grandeur
et décadence d’un Don Juan.
In Lourdes sitzt an der Ecke
der rue Basse und der rue Baron Duprat im Korbwagen ein dicker Bettler. Er ist
im besten Alter, eine Kugel an Fett, ununterbrochen schüttelt er in den Händen
eine Blechbüchse, in der etwas klappert. Und nähert sich der Ecke ein Passant,
so schüttelt er heftiger und sagt mit rostiger Stimme: «La charité,
messieurs-dames, la charité!» Ich kaufte regelmäßig bei ihm, weil es hübsch
war, daß einer abstrakte Gegenstände anpries. Eines Tages aber geschah etwas
Unerwartetes. Es näherte sich ihm eine tropfnasige Alte, ein gekrümmtes,
zusammengedrücktes Mütterchen, und schlurchte nahe an ihn heran. Die ‹charité›
blieb ihm im Halse stecken. Er sah sie an, öffnete die Büchse und gab ihr ein
Kupferstück. Hüstelnd und Segenswünsche brummelnd entfernte sich die Alte.
Das hatte ich noch nie gesehen,
einen Bettler, der angebettelt wird. Überschrift: Der Unterbettler.
Die Oberin der Soeurs de la
Charité de Nevers, des Ordens, in den die selige Bernadette eingetreten ist:
«De quelle nationalité êtes-vous, Monsieur?»
Ich: «Je suis Allemand,
ma Mère!»
Sie: «Oh ça ne fait
rien!»
Über Naturauffassung
Ein Mann aus den Pyrenäen sagt
zu einem Freund: «Sehen Sie — hier hat sich alles verändert! Die Sache ist
ruiniert, es ist aus! Seit man vor zweiundvierzig Jahren die großen Landstraßen
ins Gebirge gelegt hat...» Der Satz, im Jahre 1788 gesprochen, ist alt wie die
Welt. Der Mann beklagte, was Henri Beraldi in seinem Werk ‹Hundert Jahre in
den Pyrenäen› «La vulgarisation» nennt — und dies Lamento reißt nicht ab.
Seit den Eisenbahnen... seit der Erfindung des Autos... jede Generation glaubt,
nun sei es mit der Gemütlichkeit und mit der Naturbewunderung ein für allemal
vorbei.
Das macht, sie fühlen den
endlosen Wechsel, in dem die jungen Leute die Natur anders sehen als ihre
Väter, und die tun nun so, als verständen die Jungen von der Welt überhaupt
nichts mehr. «Da bin ich seinerzeit gewesen, als es noch keine Zahnradbahn
gab...» Na und? Dann hast du eben einen andern Eindruck gehabt als wir — nicht
immer einen bessern.
Man kann wohl nicht aus seiner
Zeit heraushüpfen, und so sind denn die Menschen meisthin felsenfest davon überzeugt,
daß man die Natur immer so angesehen habe, wie sie es tun, daß man sie auch gar
nicht anders ansehen könne und daß der ein verstockter Tropf und Modegeck sei,
der es auf eine andere Art versuche. Die Erde hält gutwillig still, wenn die
Reisenden über sie dahinklettern, und es ist ihr gleichgültig, wie man sie
anschaut. Schilderungen sind auch für den Schilderer charakteristisch.
Wie lange ist es her, daß den
Menschen die Augen für die Schönheit des Meeres aufgegangen sind? Wie lange
werden sie das Meer noch so ansingen?
Die Liebe zu den Bergen
jedenfalls ist noch gar nicht alt.
Die Griechen waren Leute, die
die Ebene brauchten und das Gebirge mieden — eine ästhetische Wertschätzung der
Berge findet sich bei ihnen nicht. Die Lateiner liebten das Gebirge kaum — aber
sie besiegten es, weil sie es besiegen mußten. Das junge Christentum hat seine
Einsiedler in die Berge geschickt, und die Berge, das war: Einsamkeit, Stille,
etwas Negatives. Schüchtern näherte sich der Pilger der wundertätigen Quelle im
Gebirge — die Berge ringsherum waren ihm nicht freundlich gesinnt, sie drohten.
Er betete gegen sie.
In der Renaissance wurde das
Gebirge entdeckt: die Schweizer, berggewohnt, im Gebirge geboren, erzogen,
gealtert, begannen die seltsame Mär in die Welt zu setzen, daß Berge schön
seien. Konrad Gesner (nicht Salomon, der Idylliker), stand erst ganz allein auf
den Bergkuppen und rief die andern herbei, die wohl oft ein Gebirge durchquert,
es aber niemals so angesehen hatten, wie man eine Statue ansieht. Das sechzehnte
Jahrhundert
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