Ein Pyrenäenbuch
die Fotografie eines, der mit sich allein ist!
Die Ansicht ist durchaus dezent, das war Zufall, der Generaldirektor saß im
Grünen wie ein Osterhase und machte so ein Gesicht... «Ich freue mich, daß ich
hier sitze, und übrigens ist es ein gedeihliches Werk.» Dies nebenbei.
Die Poesie des Wanderns...!
Vielleicht kommt es eines Tages dazu, daß die nachtdunkeln Felder, Wälder,
Berge und Täler von Zentralflammen beleuchtet sind, daß man sich in ihnen
bewegt wie auf dem Broadway und daß kein Mensch mehr auf den Gedanken verfällt,
darin zu wandern — so wie man ja auch in einer großen Stadt und auf den
Chausseen nicht gern marschiert. Wozu auch? Die Fahrt ist nicht nur bequemer,
sondern gibt erst den wahren Reiz der künstlichen Landschaft.
Was nun die schwellenden
Schilderungen der Sonnenuntergänge betrifft, der Wassersturzbäche und des
Felsengerölls, so habe ich immer das Empfinden, als langweilte man sich dabei
rechtens zu Tode. Ich wenigstens Überschläge solche Absätze in einem Buch
stets, und es muß wohl schon ein sehr großer Stilist sein, wie etwa Stifter,
der eine Landschaft nicht abmalt, sondern neu schafft. Heute, aus unserer
Autozeit heraus... Drei Viertel aller Naturbeschreibungen sind auf Vergleichen
aufgebaut, und ich habe es wirklich satt, zu hören, daß die Mondscheibe wie
eine... und der feine Sprühregen wie ein... anzusehen war. Vergleiche sind
meistens Ausflüchte, und für den, der nicht dabei war, sagt das Ganze sowieso
nicht viel. Dazu kommt noch ein andres.
Welcher Reisende hat denn den
Mut, zu sagen, was ja so oft die Wahrheit ist:
daß die Landschaft leer war, leer wie eine aufgemalte einfarbige Fläche—!
Man sagte ihm
Empfindungslosigkeit nach, befürchtete er — Stumpfheit, Mangel an Poesie, an
Gefühl, an Frömmigkeit, was weiß ich. Aber es war doch so.
Sieht man von
Spezialanschauungen ab: von dem geübten Blick eines Skifahrers, der keine
Natur, sondern Gelände sieht, vom harten Auge des Bauern, der keine Natur,
sondern Nutzland sieht, vom MG-Schützen, der keine Natur, sondern Schußfeld
sieht — es ist ja in den allermeisten Fällen nicht wahr, daß der Reisende,
frisch aus der Eisenbahn, mehr zustande bringt als eine Dreiminutenverzückung,
die etwa auf demselben Niveau liegt wie die bunten Glasscheiben, die man auf
altmodischen Aussichtstürmen antrifft und die dem Abgestumpften die Natur
wenigstens einigermaßen erträglich machen sollen. «Die Natur ist niemals leer.»
Sie haben noch eine Linse im Bart, Herr. Wer dreißig Jahre Asphalt tritt, wer in
Steinmauern aufwächst und fast das ganze Jahr nichts andres sieht, für wen es
keine Dämmerung gibt, sondern nur dunkel wird, wer nicht angeben kann, was am
vorigen Montag für Wetter war — für den ist die Natur nicht leicht zu erobern.
Wenn er sich nichts Vormacht, bedeutet sie: gute Luft, Ruhe, Ausspannung, keine
Stadt. Lade das große Publikum, und besonders seine Beauftragten, die
Literaturlieferanten, um zwei Uhr aus dem Auto —: und um dreiviertel drei hast
du einen Hymnus auf den Busen der Natur, daß dir angst und bange wird. Wir
wollen ehrlich sein —: wir haben uns schon oft im Freien gelangweilt.
Und daher kann ich auch nicht
solche Beschreibungen von den Pyrenäen geben, in denen es nur so braust von
ungewöhnlichen Adjektiven — denn ich habe das nicht empfunden. Die Höhepunkte
lagen auf dieser Reise, wie bei allen Menschen, die unter denselben
Lebensbedingungen aufgewachsen sind wie ich, sehr oft in kleinen
Nebenumständen, im Wohlbefinden an einem sonnenbeglänzten Nachmittag, in dem
Geschrei von Gänsen, das sich anhörte, wie wenn sie sich selbst ironisch
nachahmten; in dem Drum und Dran von ländlicher Arbeit, die ich nicht mitzutun
gezwungen war, deren Anblick mir also für die erste Zeit Vergnügen bereitete;
in der Freude, in den Bergen zu sein, wo keine Elektrischen fahren, keine
Zeitungsausrufer brüllen, keine Schutzleute stehen. Und manchmal... drei-,
vier-, fünfmal —: mehr.
Sind die Amerikaner nicht
ehrlicher —? Ihre Stumpfheit, die mich genau so reizt wie jeden andern
Europäer... Aber sie heucheln wenigstens keine innere Anteilnahme. Sie stören
ein bißchen, genau wie manche Engländerinnen, die wie ein albernes
Reklameschild die Landschaft verschandeln. Vor hundert Jahren hat sich George
Sand über sie gegiftet und gefragt: «Wozu reisen diese Leute eigentlich —?» Das
ist ihre Sache.
Es gibt keine richtige Art, die
Natur zu sehen. Es gibt hundert. Es gibt für
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