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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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rühmte die hohen Berge, und liebte sie, zum mindesten platonisch.
Das siebzehnte, liebte sie durchaus, nicht. Der sauber gezirkelte
Naturgeschmack, der die Natur rationell zu überwinden trachtete, der Bäume in
Formen preßte und den Erdboden in ein künstliches System, jener Geschmack, der
allem Wilden abhold war, verachtete das Gebirge. «Das ist etwas für
Bergbewohner!» war eine Beleidigung. Die Berge störten das geregelte
Landschaftsbild der Ebene, die man so schön aufteilen konnte; über die Höhen
und Felsen fiel die Literatur fast einstimmig her. Die reichen Leute ließen
sich ihre Schlösser da anlegen, wo die Mode die schönsten Plätze fixierte: also
in der Ebene, im langweiligsten Plattland, nur nicht im Gebirge. Aus dem Garten
konnte man ‹etwas machen›, die Berge ließen sich das nicht gefallen. Und es war
doch der Mensch, der die Natur zu beherrschen hatte! ‹Von der gesunden Luft
zu Rostock› heißt eine Dissertation, die noch aus diesen Anschauungen
heraus im Jahre 1705 gedruckt worden ist, und es war durchaus kein
Konkurrenzneid, wenn es dort von der Gebirgsluft in der Schweiz und in Tirol
hieß, sie mache die Menschen schwachsinnig. Die Berge... das war eine grobe
Sache, pfui! Sie fügten sich in kein ästhetisches System ein, unüberwindlich
und frech lagen sie da, roh, unbehauen — da war keine Klarheit und keine
Vernunft. Das Achtzehnte machte alles wieder gut.
    Seitdem sind viele Theorien des
Schönen über das Gebirge gegangen; hier sind schon so viele Melodien gesungen
worden, aber die Bewunderung war doch immer der Unterton. Das Romantische, das
Malerische, das Sentimentale, das Heroische, das Idyllische — so viel Bilder,
so viel Hymnen, so viel Beschreibungen, so viel Verzückte.
    Und nun stellt sich vor diese
Dekoration, deren Soffitten man so oft ausgewechselt hat, ein Kerl mit einem
kräftigen Stock, mit benagelten Stiefeln, mit wolligem Sweater und treibt
Sport! und das ist etwas ganz Neues. Mühen um ihrer selbst willen zu
unternehmen; hinaufzuklettern, nicht um oben ein Liedchen zu singen, sondern
nur und lediglich, um zu klettern; Kampf, Niederlage, Wiederanstrengung und
Sieg —: das ist das neunzehnte Jahrhundert. Die Zeit der Ideen scheint für die
Wandrer bis auf weiteres vorüber — es ist die Zeit der Tat.
    Weil aber trotzdem der Wandervogel
gern im Rucksack den gesamten Kosmos mit sich trägt, ist es vielleicht nicht
unbescheiden, daran zu erinnern, daß auch der Wandrer nicht verpflichtet ist,
so und nicht anders zu fühlen, wenn er eine sanfte, von der Sonne beschienene
Böschung sieht. Da ist vor allem jener fatale Gegensatz von Automann und
Fußwandrer. Einer lacht den andern aus, und sie sagen sich gegenseitig nach,
daß man so natürlich nichts von einem Lande habe. Ich glaube: beide haben
unrecht. Es ist da etwas wie eine Breite der Bewegung in die Reisen gekommen,
und das geht auf Kosten der alten Intensität — schafft aber ein völlig neues
Lebensgefühl. Ich habe das einmal vor Bourg-Madame, an der spanischen Grenze,
zu spüren bekommen: das eine Mal polterte ein Überlandauto mit mir die große
Straße hinunter, und das zweite Mal bin ich gegangen. Es war jedesmal eine
andere Allee.
    Die grünen Blätter, die einem
entgegengeweht kommen; streifende Zweige; das unermüdliche Brummen des Wagens;
der Takt des Motors; der Blick, der schon aus Langerweile weit in die
Landschaft hineinsieht und den Horizont absucht; Felder, die sich fächerartig
vorbeidrehen, keine Einzelheiten, viel, wenn möglich alles —: das ist das eine.
Die Erde unter den Füßen fühlen; ein Sternchen mit der Fußspitze beiseite
schleudern; ein Blatt im Gehen abreißen; stehenbleiben und sehen, was denn da
im Bach herumkreiselt; aus dem Bach trinken; an die Häuser herangehen und sie
mit den Händen befassen, kennst du diesen Stein? nicht so sehr die Weite
kontrollieren als genau die kleine Umwelt —: das ist das andere. Müßt ihr immer
Vereine bilden —?
    Natürlich sieht der Fußwandrer
quantitativ weniger. «Die Landschaft im Auto — das ist das, was man sieht, wenn
man den Wagen aus dringlichen Gründen halten läßt.» Nun, dies Wort wäre auch
sehr hübsch, wenns wahr wäre. Da haben sie einmal einen berliner
Generaldirektor vom Film fotografiert, durch zwei Büsche hindurch, grade, als
er das Auto aus diesen Gründen hatte halten lassen. Ich habe das Bildchen
gesehen, und es ist eines der schönsten menschlichen Dokumente, das sich denken
läßt. Endlich, endlich einmal

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