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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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die Schatten werden länger, die Stunden auch; geht es denselben
Weg zurück, so wundert man sich, wie man so lange hat gehen können und möchte
ihn nun aber ganz bestimmt nie wieder gehen; alle Schwierigkeiten des Marsches
sind auf einmal so groß, heute morgen war das doch ganz leicht...? Und dann
tiefer in die Täler hinunter, die Luft wird wärmer, die ersten Büsche stehen
da, und die Bäche fließen breiter; die ersten Bauerngärten sind zu sehen, bunt,
knallbunt, und in den Knochen ist jene angenehme Müdigkeit wie nach guter
körperlicher Arbeit, als habe man ein nützliches Werk getan. Und dann kommen
die schwersten hundert Meter: die letzten — und einen Todmüden siehst du ins
Dorf einmarschieren. Sich dann am Geländer im kleinen Berghotel die Treppe
hinaufziehen, die Beine sind so schwer, nein, danke, nichts zu essen... Schlaf.
    Auf dem Ritt nach Troumouse
hatte sich das Pferd öfter mit einem seltsamen Blick nach seinem Reiter
umgesehn, aber ich hatte nicht darauf geachtet. Ich saß oben wie ein Stück
Butter auf einer heißen Kartoffel und träumte vor mich hin. Ich dachte an
allerhand, auch an einen meiner Freunde, der gar nicht wußte, daß er da hinter
der Grenze im spanischen Gebirge lag und eigentlich eine Stadt war: Roda hieß
sie. An ihn dachte ich, den ein Militärpferd zum Dichter geschlagen, aber weil
er nur humoristische Kleinigkeiten› schreibt, darf man das nicht so sagen.
Hopla — da stolperte das Pferd... Paß doch auf! Wieder sah sich das Tier tun.
    Und als wir zu Hause ankamen,
in Gèdre, und ich grade abgestiegen war und neben dem Sattel stand und meine
Beine zählte, die leblosen Klumpen —: da wandte das Pferd noch einmal den Kopf,
sah mir mit großen, feuchten Augen genau auf die Nase und sprach mit einer
tiefen, deutlichen Stimme:
    «Ich habe ja schon viele Leute
auf meinem Rücken getragen — aber eine so schweinemäßige Reiterei ist mir denn
doch nicht vorgekommen —!»
    Sprach’s, gab ein Geräusch von
sich und wandelte schwanzschlagend in den Stall.
     
     

Cauterets
     
    Nun grade nicht.
    Rings umragt von dunklen Bergen
Bin ich verpflichtet, überall philologischen Assoziationen nachzugehen und bei
Flandern gleich dem Grafen Egmont, bei Granada das Nachtlager...
    Die sich trotzig übergipfeln
    und bei Roncevaux das ‹Rolandslied› zu zitieren? Ich will aber nicht. Im Grunde will ja der Hörer auch nicht.
    Und
von wilden Wasserstürzen,
    Eingelullet
wie ein Traumbild,
    Es schmeichelt ihn nur, dem
Schreiber um eine Nase vorausgewesen zu sein und es gleich gewußt zu haben,
denn man ist ja unter gebildeten Menschen. Wenn also von Cauterets die Rede ist,
so hat zu erfolgen:
    Liegt
im Tal das elegante
    Cauterets...
    Aber entweder sie kennen den ‹Atta
Troll› genau, und dann ist das Zitat nicht nötig — oder sie besinnen sich
nicht gut auf ihn, und dann hat es keinen Zweck. Besser wäre, die Reisebriefe
Heines wären bekannter als sie sind, auch die aus den Pyrenäen, und alle seine
Berichte aus Paris, in denen er sich als einen Jahrhundertkerl seltnen Formats,
als einen Propheten und als einen Allesüberschauer zeigt. («Man müßte wirklich
mal abends den Heine wieder heraussuchen...!» Ja, man müßte wirklich einmal.)
    So elegant ist Cauterets auch
gar nicht. Hier ist das ‹Heptameron› der Königin von Navarra geboren —
aber auch das kann uns nicht trösten. Cauterets liegt in einem engen Tal. Enge
Täler... das drückt leise auf meine Seele, man fühlt sich ein bißchen zu gut
geborgen, das schwere dunkle Grün der Wälder lastet, klettert langsam den Berg
hinan, man sieht ihm nach. Wie ein Gitter stehen die Stämme.
    Die Kurkapelle spielt einen
dünnen Walzer, die Gurgler gurgeln, die Bresthaften baden sich, die
Stubenmädchen stehen zusammen und beraten, wer von wem das nächste Kind
bekommen wird.
    Von mir nicht. Auf und davon —I
     
     

Pic du Midi
     
    Wenn man von Bareges lange
genug auf gewundenen Wegen hinaufgeklettert ist, kommt man an die Hotellerie,
die sechshundert Meter unter dem Gipfel liegt — also zweitausendzweihundert.
Noch sechshundert Meter...
    Der Gipfel steht vor mir — hoch
oben blinkt ein Märchenschloß mit der weißen Kuppel einer Moschee. Das ist das
Observatorium. Das kleine Zauberhaus grüßt herunter — es ist auf einmal noch so
weit bis dahin...
    Unterhalb der großen Hütte
liegt ein See, und noch einer. «Gebirgsseen, das Auge Gottes›. Diese da
strahlen dunkelgrün zwischen den Steinen. Es ist kalt.
    Wird die

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