Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
Vom Netzwerk:
Aussicht oben gut sein
—? Taine hatte es seinerzeit nicht gut getroffen, und er legt einem fingierten
Reisekameraden folgende Notiz ins Tagebuch:
    «Abmarsch vier Uhr morgens im
dichten Nebel. Beginn der steilen Böschung; langsamer Aufstieg im Gänsemarsch.
Erste Stunde: Rückenansicht meines Führers sowie eines Pferdehinterteils. Der
Führer hat eine Jacke aus flaschengrünem Samt, rechts und links ist der Stoff
etwas ausgebessert, das Pferd ist schmutzigbraun und hat Striemen. Große Steine
auf dem Weg, ich muß an die deutsche Philosophie denken. Zweite Stunde: Es
klärt sich auf, jetzt kann ich das linke Auge des Führerpferdes sehn. Das Tier
ist auf diesem Auge blind — es verliert aber nichts. Dritte Stunde: Die
Aussicht wird immer weiter. Ich sehe jetzt zwei Pferderücken und zwei Jacken
von Touristen, die fünfzehn Schritt unter uns sind. Graue Jacken, rote Gürtel,
Mützen. Sie fluchen. Ich fluche auch, das tröstet etwas. Vierte Stunde: Große
Begeisterung. Der Führer verspricht uns, wenn wir oben angekommen sind, ein
Wolkenmeer. Wir sind oben, wir sehen das Wolkenmeer. Leider sind wir grade
mittendrin. Die Sache sieht aus wie ein Dampfbad — vom Dampfbad aus gesehn.
Bilanz: Schnupfen, Reißen in den Füßen, Hexenschuß, Frost, wie wenn man acht
Stunden in einem ungeheizten Wartezimmer gesessen hätte.» — «Kommt das oft
vor?» fragt Taine seine Figur. «Von drei Malen zwei», sagt die. «Die Führer
geben das große Ehrenwort: es kommt überhaupt nicht vor.»
    Und während ich noch in der
Hotellerie frühstücke, die sauber ist und schön kalt, bezieht sich der Gipfel
mit weißen Wolken, die vom Tal aus hinauffegen, ganz gewiß, jetzt wird er eine
Mütze bekommen — und ich bin... «Je suis chocolat», sagen die in Paris. Mit
einem halben gebratenen Fisch und etwas Heu im Hals reiten wir nach oben: der
Esel und ich. Nach einem kleinen Stündchen sind wir oben.
    Sie haben neun Jahre daran
gebaut, und im Jahre 1882 war es fertig. Nun ist ein Observatorium da, mit
einer Kuppel und einem großen Fernrohr, und ich lege zur größten Heiterkeit des
Astronomen einen schönen Kindermund hin, als ich frage, ob hier geheizt ist.
Ich weiß nicht einmal, daß die Luke, durch die das Fernrohr in den Himmel
schießt, immer offen sein muß! Siehst du. Sie haben für den Wetterdienst viele
gebildete Apparate, und ein Wohnhaus und Zimmer und Küchen, und alles ist durch
einen gedeckten Gang verbunden, so daß sie im Winter nicht hinauszugehen
brauchen. Meist können sie das auch gar nicht, das Haus schneit ein. Sie sind
vier im Winter, die oben bleiben, oft für Wochen unerreichbar, und Lebensmittel
haben sie immer für ein halbes Jahr im voraus. Herr Daupère macht schon
fünfunddreißig Jahre Dienst; im Tal, auf Urlaub, fehlt ihm etwas, und er
langweilt sich. Der jetzige Direktor heißt Latreille; und eine Hilfe haben sie
auch, einen kräftigen, hübschen jungen Menschen. Von hier kann man nach Bagnères
telefonieren und telegrafieren, und sie sind grade dabei, eine Funkstation
aufzumontieren. Der grau lackierte große Apparat steht schon da. Wie mag man
das alles nach oben geschafft haben? Mein Führer erzählt, er habe als junger
Mensch beim Bau geholfen, es sei eine bittere Sache gewesen.
    Und nun sehe ich mich um.
    Man sieht: in der Ebene, nach
Toulouse hin, ein Wattenmeer von Wolken — unten ist also jetzt schlechtes
Wetter, und die Leute sagen: «Wenn doch nur die Sonne einmal scheinen wollte!»
Hier scheint sie. Ab und zu ziehen graue Schwaden über die Kuppe, dann steht
man im Nebel. Die Pyrenäen sind wie mit einem Messer in den blauen Himmel
geschnitten, so klar stehen sie da. Ich grüße alte Bekannte: Gavarnie und die
Rolandbresche und viele andre. Manche tun furchtbar fein und erkennen mich
nicht wieder.
    Arbeiter graben auf der
Plattform, legen Leitungen und haben alles voller Planken und Erdhaufen
vollgepackt, man glaubt, in einer Großstadtstraße zu sein. Ein Hühnervolk
scharrt und kakelt: einmal stehen sie alle, von der Sonne beschienen, grade am
Abhang vor einer blitzenden Wolkenlandschaft, die einen schönen Hintergrund für
ihre Leiber abgibt. Der Hahn weiß, daß ihm Wolke gut steht, und benimmt sich
entsprechend.
    Sie sollen bald eine
Zahnradbahn bekommen, hier oben — der Ingenieur ist mit mir zusammen
hinaufgeritten und mißt die Felsen ab. Und weil man oben nicht übernachten
kann, steige ich wieder zur Hotellerie hinunter, den morgigen Sonnenaufgang
abzuwarten.
    Es wird kalt und

Weitere Kostenlose Bücher