Ein Pyrenäenbuch
kälter, das
große Feuer in der Küche, in der alle zusammensitzen und viel essen, wärmt und
leuchtet dunkelrot. In der Stube, wo ich unter zahllosen Decken eingepackt
liege, ist es bitterkalt. Fast die ganze Nacht hindurch machen die Führer und
die Leute, die mit Pferden und Traglasten heraufgekommen sind, musikalischen
Lärm, unter gütiger Mitwirkung einer Ziehharmonika. Sie singen gewiß alte
baskische Lieder, die im Herzen des Volkes... Gute Nacht! Sie singen alle,
immer, in den kleinsten Löchern der Pyrenäen, ohne Ausnahme auf allen
Bahnhöfen, auf den unglaublichsten Örtern, vom Atlantischen Ozean bis zum
Mittelländischen Meer, das ‹Valencia› von gestern: den Java der
Mistinguett.
On fait un’ petit’ belote
Et puis ça va —
On belote, on rebelote
À tour de bras —
Es ist die Pest. Sie pfeifen, summen, trommeln
es... überall. Aus dem Java ist einfach ein Ländler geworden, ein gemütlicher
alter Walzer, das erklärt wohl seine Popularität. Alte Baskenlieder? Weniger.
Ich stehe dreimal auf: um halb
vier, um vier und um halb fünf. Die Sonne wird Verspätung haben. Kein Wunder —
hier müßte mal Ordnung in die Bude jebracht werden! Aber dann scheint es doch
etwas zu werden mit der Sonne.
Noch haben die Felsen keine
Farbe — der Gipfel ist verhüllt, ich brauche also nicht in die Wolken zu
steigen, da wäre gar nichts. Hier unten sehe ich den kaltdunkeln Horizont, und
dann seine Kolorierung, und dann färbt sich der See und ein Stück
grasbewachsener Felsen, nun schwimmt da hinten die Luft in rosigem Grau...
Und
alles wartet
wie
mit niedergeschlagenen Augen
auf
den Tag.
Die schönen Zeilen Werfels
durchfliegen mich Nicht wahr,
das dürfen sie doch, von
Werfel; wie? Schade, daß sie gar nicht von ihm sind. Ihr Verfasser war ein
kleiner, dicker, ehemaliger Offizier, ich darf den Namen gar nicht sagen — dann
ist es mit meiner literarischen Reputation vorbei. Es wird heller... Gold
blitzt auf. Nun kommt der Wirt des Hauses und teilt mir mit, daß es heute kalt
sei, daß die Sonne gleich aufgehen werde, daß man sie schon sehen könne und daß
wir einen schönen Tag bekommen würden, freilich mit etwas Regen und
Windstößen... Ich beneide die Esel, die sich im Geröll Gras suchen, und die man
kauen hört.
Jetzt ist die Sonne da. Es ist
eine ganz gewöhnliche Sonne, wie . alle Tage, niemand kann einsehen, warum man
solange auf sie gewartet hat. Sie scheint ihrs, wärmt nicht... Der Wirt schlägt
mir die letzten Goldplomben heraus, nimmt mir die Uhr fort und entläßt mich mit
einem fröhlichen: Glück auf!
Hinter der untersten Wegbiegung
verschwindet oben das Zauberhaus mit der weißen Kuppel einer Moschee.
Figuren
Vor den Schaltern der Eisenbahn
in der französischen Provinz kann man noch unwahrscheinliche Gestalten sehen.
Da gibt es alte Damen mit langen, schwarzen Röcken und vielen Unterröcken, mit
einem Großmamabusen, rund, aber ehrfurchterweckend, und mit einem schwarzen
Kapotthütchen. Sie stehen und warten geduldig, bis die Reihe an ihnen ist. Vor
dem Schalterfensterchen kommt wie der Blitz die Erkenntnis über sie: Dazu
braucht man Geld! Zum Bezahlen! Allmächtiger Gott! Und die alten Hände graben
hinterwärts in eigentümlichen Schlitzen und Grotten und produzieren ein altes
Lederportemonnaie. Daß der Billettmann ihnen den Preis genannt hat, haben sie längst
vergessen. «Wieviel?» Und dann zählen sie und verzählen sich, haschen
herunterwehende Geldscheine, reichen hin und nehmen wieder zurück (solange man
die Schachfigur mit der Hand berührt, darf man zurücknehmen), bekommen Geld
heraus und zählen es mißtrauisch, fragen noch einmal vorsichtshalber, wie man
fahren muß, wenden sich und vergessen das Billett. Ich habe drei Züge durch sie
versäumt — aber man kann ihnen nicht böse sein, den guten, alten Winterfliegen.
Einmal saßen wir zu fünf in einer kleinen Kneipe, vier Franzosen und ich. Da war einer, der ka nnte Deutschland von manchen
Reisen her, und er sprach auch etwas Deutsch, und gar nicht schlecht. An diesem
Abend aber ritt ihn der Teufel, und er vermaß sich, mir einen deutschen Witz zu
erzählen, und an der Art, wie er die Pointe vorwegschmunzelte, sah ich, daß es
‹une bonne› werden würde, eine haarige Geschichte. Richtig. Er erzählte
zunächst deutsch, und die andern hörten bewundernd zu. Es handelte sich da um
ein lockres Dienstmädchen, eine, die nachts außerhalb zu schlafen pflegte, und
die nun natürlich mit ihrer
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