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Ein Quantum Blut - Biting the Bullet

Titel: Ein Quantum Blut - Biting the Bullet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Rardin
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einmal, was sie getan hatten. Vielleicht hatten sie ihre Kinder umgebracht. In diesem Fall hätten sie es verdient zu sterben.
    Die jüngere Frau hatte angefangen zu weinen. Die ältere tröstete sie.
    Ein Offizier, der so viele Medaillen an der Brust trug, dass er, falls er in einen Teich sprang, direkt bis zum Grund sinken würde, trat an den Rand des Podestes und verlas eine Proklamation. Die Menge reagierte mit verärgertem Gemurmel, das sich zu gebrüllten Forderungen steigerte. Ich wünschte mir, Cole wäre da. Ich wollte die Details wissen. Besonders, als die ältere Gefangene anfing zurückzubrüllen.
    Der Uniformierte, der am nächsten bei ihr stand, schlug ihr so hart gegen die Schläfe, dass sie zu Boden sank. Jubelrufe von der Menge. Die jüngere Frau versuchte, zu ihr zu gehen, wurde aber festgehalten.
    All das versetzte die Mahghul, die auf den Dächern, Schildern und Stromleitungen rund um den Platz hockten, in sichtbare Aufregung. Sie standen Schulter an Schulter, hüpften mit ihren kräftigen Beinen auf und ab, verrenkten sich die Hälse und streckten mit einem leisen Scharren ihre ledrigen Flügel. Ich konnte nicht fassen, dass niemand es hörte.
    Die Uniformierten gingen wachsam auf die jüngere Frau zu, als könnte sie ihre Fesseln zerreißen und in die Menge springen. Sie stand völlig bewegungslos, und ich
dachte schon, sie würde es ohne Widerstand über sich ergehen lassen. Doch kurz bevor sie ihr die Kapuze über den Kopf zogen, rief sie einen Namen.
    »Wer ist FarjAd Daei?«, fragte ich.
    »Ich habe noch nie von ihm gehört«, erwiderte Vayl, der sogar noch besser über die Leute informiert war, die die Welt bewegten und erschütterten, als ich. Die Menge kannte ihn allerdings. Viele der Männer spuckten verächtlich auf den Boden, als sie den Namen hörten. Doch ein paar machten auch eine Geste, die so natürlich wirkte, dass ich sie nicht bemerkt hätte, wenn nicht ein Mann, der ungefähr in meinem Alter war, meine Aufmerksamkeit erregt hätte. Er strich mit dem rechten Daumen über seinen Oberschenkel und drehte dann die Handfläche in Richtung der verurteilten Frau. Als er bemerkte, dass ich ihn anstarrte, nickte er einmal und formte mit den Lippen das Wort »Freiheit«. Ich hob fragend die Augenbrauen, und er nickte noch einmal, bevor er in der Menge verschwand.
    Als die Frau durch die Falltür stürzte, hatte sich ein Mahghul bereits wie ein Schal um ihren Kopf gewickelt. Seine Kameraden hatten schon begonnen, sich an den Uniformierten zu laben, von denen einige zusahen, wie die Leiche hin- und herpendelte, während andere über die Menge hinwegstarrten, als hätte die Hinrichtung genauso wenig mit ihrem Leben zu tun wie eine Oldtimerversteigerung.
    Als die zweite Frau fiel, löste sich ihr Tschador. Sie hatte ein Bild an das weiße Kleid geheftet, das sie darunter trug. Ich konnte keine Details erkennen und auch nicht die dick geschriebenen schwarzen Zeilen über und unter dem Foto lesen, das ihre gesamte Brust bedeckte. Doch der Teil der Menge, der am dichtesten vor ihr stand, schrie wütend auf.

    Die Menge bewegte sich nach vorne, die Schreie der vorne Stehenden ermutigten die Hinteren, sich ihnen anzuschließen, und innerhalb weniger Sekunden verschwanden die toten Körper unter ihren wild zerrenden Händen.
    »Wir sollten gehen«, murmelte Vayl. Ich spürte, wie seine Kraft anschwoll und uns vor neugierigen Blicken schützte, während er mich am Arm nahm und von dem Platz wegführte.
    Hinter uns hatten sich die restlichen Mahghul ihren Brüdern angeschlossen und ließen sich auf den Mob hinabfallen, wobei sie immer wieder freudig schrien, während sie die Gewalt in sich aufsogen.
    Vayl und ich sprachen kein Wort, während wir uns hastig von der Szene entfernten. Fünf Minuten später hatten wir unser Ziel erreicht. Sobald wir das Café entdeckten, kamen wir zu der unausgesprochenen Übereinkunft, den Alptraum von dem Platz zumindest vorübergehend hinter uns zu lassen. Die Pflicht rief. Und wie gewöhnlich, war ich überrascht.
    Ich hatte erwartet, dass die »Oase« ein schlecht beleuchteter Rückschritt Richtung Mitte des neunzehnten Jahrhunderts darstellen würde. Mit einem Schild an der Tür: NUR FÜR MÄNNER. Und so dichtem Zigarrenrauch, dass man schon Lungenkrebs bekam, bevor man sich hinsetzte. Und mit Tanzmädchen, die im Hinterzimmer die bessergestellten Gäste unterhielten.
    Was ich jedoch vorfand, war ein ungefähr dreißig Jahre altes, zweistöckiges, weißes

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