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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Nebensachen gibt, weil irgendeine Nebensache in mich eindringt und mich nicht mehr freigibt. Genauso ist es jetzt wieder. Aus der Tiefe der Hinterhöfe höre ich das Geräusch des Einschießens von Wasser in eine Gießkanne. Es ist die Gießkanne von Frau Hebestreit, die in der Teuergarten-Straße eine Lotto- und Totoannahmestelle betreibt. Jetzt, um die Mittagszeit, hat Frau Hebestreit ihren Laden geschlossen und gießt ihre Tomaten, ihre Gurken und ihre Radieschen. Ich öffne in der Küche das Fenster zum Hof und setze mich in den kleinen Rattansessel in der Nähe des Heizkörpers. Von hier aus kann ich sogar hören, wie der Wasserschweif der Gießkanne auf die staubigen Blätter der Pflanzen auftrifft und wie dabei ein sonderbar papierenes Geräusch entsteht. Fünf bis sechs Gießkannen Wasser gießt Frau Hebestreit jeden Mittag über ihren Pflanzungen aus, dann kehrt sie in ihre Erdgeschoß-Wohnung zurück. Durch die stark wasserhaltige Verbindung zwischen den Glucksern in der Heizung, Lisas Tränen und dem Wasser aus der Gießkanne zieht eine beträchtliche Gemütsbewegung durch mich hindurch. Ich muß nicht selber weinen, das Weinen tritt nur momentweise von innen an mich heran und verschwindet dann wieder. Bis tief in den Mai hinein sagte Lisa beinahe täglich, daß es immer noch zu kalt sei. Auch dann, wenn wir im Sommer miteinander schliefen, klagte sie über Kälte. Sie legte ihr Nachthemd nicht ab, sondern sie schob es sich bis zum Hals hoch, weil sie auch während des Beischlafs zum Beispiel gegen eine plötzliche Gänsehaut gewappnet sein wollte. Im Inneren lachte ich manchmal über den Anblick ihres Nachthemdes, das wulstartig wie eine mißratene Halskrause ihre Schultern bedeckte. Einmal habe ich versucht, während des Beischlafs kurz (und leise) zu lachen. Lisa verstand diese Regung nicht. Auch für meine Erklärung, daß der auf der Frau liegende und hechelnd seine Form verlierende Mann doch auch lächerlich sei, hatte sie kein Verständnis. Für sie war der Beischlaf eine ernsthafte Angelegenheit, die auch durch die Wiederholung nichts von ihrer Ernsthaftigkeit verlor. Prompt fällt mir meine ernste Lebenslage ein. Solange wir zusammenlebten, hat Lisa mir öfter beweisen wollen, daß meine Genügsamkeit unfreiwillig sei. Ich besitze nur ein Sakko, einen Anzug, zwei Hosen, vier Hemden und zwei Paar Schuhe. Ich lebte und lebe, rundheraus gesagt, von Lisas Rente. Meine eigenen Einkünfte sind, ebenfalls rundheraus gesagt, nicht der Rede wert. Es ist mir bis jetzt nicht gelungen, mir einen soliden finanziellen Hintergrund zu verschaffen. Ich kann kaum noch über dieses Problem sprechen, obgleich es von Woche zu Woche drängender wird. Zum Glück leben meine Eltern nicht mehr. Sie würden mich kurzerhand als arbeitsscheu bezeichnen. Mein Vater war besonders stolz, daß er praktisch von seinem sechzehnten Lebensjahr bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Er hatte es gut. Er vergaß während und durch die Arbeit seine Konflikte. Bei mir ist es genau umgekehrt. Mir fallen meine Konflikte erst ein, während oder wenn ich arbeite. Deswegen muß ich die Arbeit eher meiden. Für diesen Fall hatten Leute wie meine Eltern nicht das geringste Verständnis. Lisa hat mich verstehen können, jedenfalls viele Jahre lang. Ich hielt dieses Verständnis für ewig und unwandelbar. Tatsächlich brauchte es sich langsam auf und ist jetzt ganz verschwunden. Schwierig war (ist) meine Lage auch deswegen, weil in Lisas pädagogisch gemeintem Spott über meine Bescheidenheit gleichzeitig eine liebevolle Aufforderung versteckt war. Ich hatte von Lisa die Erlaubnis, Geld von ihrem Konto abzuheben. Ich habe von dieser Erlaubnis nur ein einziges Mal Gebrauch gemacht und habe dabei sozusagen Schiffbruch erlitten. Das liegt etwa drei Jahre zurück. Ich konnte das Geld zwar in der Bank abheben, aber dann nicht ausgeben. Als ich zahlen wollte, überfiel mich eine fürchterliche Hemmung. Ich mußte die eingekauften Sachen zurückgeben und nach Hause gehen. Ich habe Lisa das Erlebnis seinerzeit nicht verheimlicht. Sie war gerührt und tröstete mich. Sie hat gesagt, ich würde das alles viel zu ernst nehmen. So groß war damals ihr Verständnis. Seither habe ich es vermieden, von Lisas Konto noch einmal Geld abzuheben. Wir hatten unseren Alltag so eingerichtet, daß entweder Lisa die Einkäufe erledigte (und also auch Geld abhob) oder sie mir, wenn ich einkaufen ging, ausreichend Geld mitgab, meistens ein bißchen mehr, damit auch für mich

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