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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Vögel mit blauen Füßen. Sie haben Ähnlichkeit mit Gänsen und bewegen sich ähnlich tapsig. Auf den Galapagos-Inseln finden sie ideale Brutplätze, sagt der Sprecher. Die Vögel nisten auf dem Boden, die Gewässer ringsum sind fischreich und sauber. Tölpel heißen sie, weil sie zum Fliegen einen langen Anlauf nehmen und dabei ihre üppigen Körper unelegant bewegen müssen. Mir gefallen die Blaufußtölpel, im Augenblick wäre ich selbst gern einer. Daß man mich im Fernsehen dann ebenfalls Tölpel nennen würde, wäre mir egal, denn als Blaufußtölpel wüßte ich endlich nichts mehr von Worten und ihren Bedeutungen. Es ist möglich, daß mich die wunderbaren weißen Körper der Tiere an den kleinen weißen Körper von Margot erinnern. Vielleicht ist auch das Zusammentreffen mit Regine daran schuld, daß ich plötzlich Verlangen nach einer Frau empfinde. Ich schalte den Fernsehapparat ab. Ein Hemdknopf löst sich und rollt ein Stück auf dem Boden entlang. Ich schaue ihm nach, bis er umkippt und liegenbleibt. Durch die Mauern hindurch höre ich, wie die Kinder in der Nebenwohnung Arschloch und dumme Sau zueinander sagen. Das heißt, sie toben und rasen im Zimmer umher und schreien sich dabei die Worte Arschloch und dumme Sau entgegen. So ungefähr müssen die Kinder gewesen sein, die Lisa krank gemacht haben. Ich möchte Lisa anrufen und fragen, wie es ihr geht, aber ich möchte nicht, daß Renate an den Apparat geht und ich dann mit ihr reden muß. Reglos höre ich Arschloch, Arschloch rufen in der Nebenwohnung. Unter den neuen Schuhen, die mir Habedank mitgegeben hat, ist ein Paar kaum bezahlbarer, rahmengenähter Loafer aus echtem Chevreau. Sie tragen sich wunderbar. Es ist kurz nach fünfzehn Uhr. Vermutlich hat Margot jetzt keinen Kunden und ißt einen Teller Suppe aus dem mittleren Waschbecken. Die Katze wird im Waschbecken links liegen und schlafen. Ich verlasse die Wohnung und gehe zu Margot. Wahrscheinlich wird sie überrascht sein, mich so schnell wiederzusehen. Ich gehe hinter einer Japanerin her, die im Gehen einen Apfel ißt. Der Apfel ist klein, er paßt zu den Händen der Japanerin, die ebenfalls klein sind, und zu ihrem Mund, der so klein ist, daß er als Mund kaum auffällt. Nach kurzer Zeit ist der Apfel aufgegessen, die Japanerin hält den Apfelkrutzen in ihren kleinen Händen. Oder heißt es Apfelbutzen? Wenn ich mich nicht täusche, habe ich in meiner Kindheit Apfelbutzen gesagt, später dann immer öfter Apfelkrutzen. Oder war es umgekehrt? Warum ging ich von Apfelbutzen zu Apfelkrutzen über, wozu es doch, von heute aus gesehen, nicht die geringste Notwendigkeit gab? Die Japanerin wickelt den Apfelkrutzen in ein Papiertaschentuch ein. Ich muß nach links abbiegen, aber weil ich sehen will, was die Japanerin jetzt mit dem Apfelkrutzen (Apfelbutzen) macht, benehme ich mich ein bißchen wie ein Eckensteher und schaue herum. Wundersame Ehrfurcht vor der Fremdheit! Die Japanerin hat nicht den Mut, den Apfelbutzen (Apfelkrutzen) einfach auf die Straße oder in einen Vorgarten zu werfen. Sie verstaut den Apfelrest in ihrem winzigen Handtäschchen, das man ebensogut Apfelkrutzentäschchen nennen könnte. Bis zu Margot fehlen mir nur noch wenige Schritte. Ein leises Zucken in den Knien verrät mir, daß ich erregt bin. In Margots Schaufenster sind alle drei Neonröhren eingeschaltet. Da öffnet sich die Tür, und aus Margots Salon tritt Himmelsbach heraus. Das hätte nicht passieren dürfen. Himmelsbach geht nach rechts, so daß er mich nicht sieht. Auf einen Schlag ist klar, daß ich jetzt nicht auch noch zu Margot gehen kann. Wahrscheinlich kann ich das nie mehr. Ich kann nicht erkennen, ob sich Himmelsbach die Haare hat schneiden lassen oder nicht. Leise und erfolglos schimpfe ich eine Weile gegen die Verschwiegenheit des Lebens. Schon eine Ecke weiter fällt mir ein, daß ich selbst ohne diese Verschwiegenheit schon längst tot wäre. Auf dem Grund dieses Widerspruchs erkenne ich für Augenblicke das Gewebe meiner Verrücktheit. Wenn du eines Tages überschnappen wirst, denke ich, dann hat dich diese sich immerzu öffnende und wieder schließende Schere zerschnitten. Himmelsbach trägt einen dunklen Schlapphut mit breiter Krempe. Dieses lächerliche Künstlergehabe! Leider werde ich eifersüchtig, sogar auf der Straße. Gleichzeitig tut mir Himmelsbach leid. Er sieht noch heruntergekommener aus als letzter Tage. Ich gehe eine Weile ohne Plan hinter Himmelsbach her. Vielleicht nimmt er den Hut

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