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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Küche gehe. Das Telefon klingelt, ich werde nicht abnehmen. Ich lege meine Jacke ab und schneide mir eine Scheibe Brot ab. Das Brot schmeckt mir sehr gut. Ich nehme die Brille ab und reibe mir mit der Hand die Augen. Im Augenblick, als ich mir die Brille wieder aufsetzen möchte, rutscht sie mir aus der Hand und fällt auf den Steinboden. Am Rand des linken Glases ist ein Stück weggesplittert. Ich setze die Brille auf und betrachte mich im Spiegel. Sofort ist klar, daß ich mir keine neue Brille anschaffen werde und daß die kleine Absplitterung zu einem Zeichen werden wird. Ich gehe zum Telefon und nehme den Hörer doch ab. Am anderen Ende ist Susanne.
    Ich habe einen Brief von dir gefunden, ruft sie aus, den du mir vor achtzehn Jahren geschrieben hast.
    Vor achtzehn Jahren? frage ich tonlos.
    Ja, sagt sie, im August vor achtzehn Jahren hast du mich so angeredet: Liebste Susanne …
    Aber vor achtzehn Jahren hatten wir doch nichts miteinander, oder?
    Nein, sagt Susanne, jedenfalls ist nichts passiert.
    Und was steht in dem Brief? Ist er peinlich?
    Nein, sagt Susanne, dir ist die Liebe peinlich, mir nicht.
    Die Antwort verblüfft mich, ich schweige.
    Soll ich dir den Brief vorlesen?
    Nein, sage ich, es genügt, wenn ich ihn später mal lese.
    Dazu hast du bald Gelegenheit, sagt Susanne, ich möchte dich nämlich einladen zu einem kleinen Abendessen, mit ein paar Kollegen und Freunden zusammen.
    Kenn ich die auch?
    Den einen oder anderen schon, sagt Susanne, Himmelsbach zum Beispiel.
    Ach Gott, sage ich, dieses alte Nebelhemd.
    So darfst du ihn dann aber nicht nennen, sagt Susanne und lacht. Eine frühere Arbeitskollegin wird dasein, die jetzt Akquisiteurin für ein Luxusaltersheim ist, ein gräßlicher Job muß das sein.
    Susanne zählt auf, wer noch kommen wird. Ich höre zu und verfalle in eine Art innerer Starre. Ich überlege, ob ich vor achtzehn Jahren mit Susanne zusammen war oder ob ich ihr nur Briefe geschrieben habe. Ich erinnere mich nicht.
    Möchtest du lieber Rotwein oder Weißwein? fragt Susanne.
    Lieber roten, sage ich.
    Susanne sagt mehrfach Datum und Uhrzeit des Abendessens. Ich notiere beides auf den Rand einer Zeitung. Ich bin sicher, daß ich den Brief, den ich ihr vor achtzehn Jahren geschrieben habe, nicht lesen will. Susanne redet jetzt darüber, was sie kochen wird. Ich höre zu und kaue unhörbar auf meiner Scheibe Brot. Der Roggengeschmack mildert die Merkwürdigkeit, daß ich bald mit Himmelsbach an einem Tisch sitzen werde.

7
    Schon eine Weile überlege ich, woran mich Susannes Wohnung erinnert. Wir sitzen an einem großen ovalen Tisch, auf dem eine weiße Damastdecke liegt. Auch die Servietten sind aus Damast, so fest und glatt, daß ich anfangs Mühe hatte, mir damit wirklich den Mund abzuwischen. Als Vorspeise gab es einen Artischockensalat mit Spinat und Pinienkernen, danach gegrillte Kammuscheln mit Prosciutto. Susanne kocht vorzüglich; ein wenig ungeduldig wurde ich nur, als sie gar zu lange über Herkunft und Eigenart der Pinienkerne und Kammuscheln redete. An der Wand links hängt ein Druck von Miró, an der Wand rechts ein Druck von Magritte, beide hinter Glas. Auf drei nichtbenutzten Stühlen, die nebeneinander an der linken Stirnwand des Zimmers stehen, liegen kleine Seidenkissen, die wahrscheinlich nur deswegen da sind, damit man gelegentlich mit der Hand darüberstreicht. Jetzt hab ich’s: Die Wohnung ähnelt zur Hälfte einem Wäschegeschäft, zur anderen Hälfte einer Bonbonniere der siebziger Jahre. Hinter den Scheiben des Wohnzimmerschranks stehen und liegen Püppchen, Porzellantiere, alte Bestecke, Andenken, eine Perlenkette. Es könnten auch Pralinen, Fotos, feine Schokoladen, Seidenbänder und Schatullen sein. Vor einer halben Stunde habe ich das Wohnzimmer Margerita Mendozas Spezialitätenrestaurant genannt, worüber Susanne entzückt war. Weil nicht alle wußten, was es mit dem Namen Margerita Mendoza auf sich hat, habe ich hinterher die Theater-Episode aus Susannes Leben erzählt. Durch die Erzählung ist mir die Geschichte peinlich geworden, aber es hat wohl niemand bemerkt. Susanne hat meine Darstellung offenbar gefallen, sie hat mich danach dankbar umarmt. Jetzt gilt sie wenigstens in diesem Zimmer und an diesem Abend und vor diesen Leuten als Künstlerin. Auf einem zierlichen Messingwägelchen fährt Susanne den Nachtisch herein, überbackene Pfirsiche mit Mascarpone-Creme. Susanne beugt sich von hinten über meine Schultern; ihr dünnes, hellgraues

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