Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
ausgeht. Dann aber kam er doch ohne Zwischenfall bis vor seine Haustür. Das war/ist schon die ganze Geschichte. Ich saß zehn Minuten reglos vor seinem Schreibtisch und lachte beglückt, als Habedank am Ende seiner Erzählung ausrief: Der Sprit reichte! Stellen Sie sich das vor! Der Sprit reichte! Mein Dünkel besteht aus einem fast permanenten Zusammenstoß von Demut und Ekel. Beide Kräfte sind ungefähr gleich stark. Einerseits mahnt mich die Demut: Gerade die idiotischsten Geschichten deiner Mitmenschen sollst du dir anhören! Und gleichzeitig stichelt der Ekel gegen mich: Wenn du jetzt nicht fliehst, gehst du in den Ausdünstungen deiner Mitmenschen unter! Das Gemeine ist, die Zusammenstöße lassen es nie zu einem Ergebnis kommen. Sie wiederholen sich immer nur. In einer solchen Wiederholung befinde ich mich, als ich mich Habedanks Büro nähere. Ich bilde mir ein, auf alles vorbereitet zu sein, und muß zugleich über diese Einbildung innerlich lachen. Habedank und der Einkäufer Oppau haben durchgesetzt, daß das Büro rauchfrei wurde. Deswegen geht die immer noch rauchende Frau Fischedick, eine Einkäuferin, außerhalb des Büros auf und ab und raucht und grinst. Sie hebt die Arme und winkt mir zu. Ich merke, Frau Fischedick möchte im Büro sein, wenn ich mit Habedank spreche. Sie drückt ihre Zigarette aus und betritt kurz nach mir das Büro.
    Habedank sitzt an seinem langen schwarzen Schreibtisch und erhebt sich, als er mich sieht.
    Ahhh! Unser Meistertester! ruft er.
    Mein Dünkel lächelt ein wenig. Ich gehe über einen weichen grauen Teppichboden. Entlang der Wände zieht sich eine indirekte Beleuchtung hin. Die Jalousien an den Fenstern sind geschlossen, es herrscht mild gedimmtes Licht. Links steht der Schreibtisch von Herrn Oppau, rechts der von Frau Fischedick, an der Stirnseite der von Habedank. Er öffnet sein Sakko. Ich sehe einen handgroßen Blutfleck auf seiner Hemdbrust. Ich starre Habedank an, Habedank starrt mich an.
    Ich bin leider angeschossen worden, sagt Habedank.
    Von wem? frage ich.
    Von einem gefeuerten Tester.
    Oh, mache ich.
    Herr Habedank, Herr Habedank, sagt Frau Fischedick.
    Wie gefällt Ihnen das Blutbad? fragt Habedank und sinkt in seinen Drehsessel zurück.
    Glauben Sie ihm nichts! sagt Frau Fischedick.
    Herr Habedank gehört zu den vielen Menschen, die sich einen natürlichen Tod verdient haben, sagt Herr Oppau.
    Die letzte Bemerkung gefällt mir, ich nehme auf dem Besucherstuhl Platz und lege meine Gutachten auf Habedanks Tisch.
    Es ist mir nur ein Filzstift in der Hemdtasche ausgelaufen, sagt Habedank.
    Ich kommentiere diese Bemerkung nicht. Habedank blättert die Gutachten durch. Ich hole ein Paar rahmengenähter Full-Brogues und die Pferdeleder-Schuhe aus meinen Taschen heraus und erkläre weitschweifig, warum ich sie für die besten Schuhe der letzten Partie halte. Habedank, Oppau und Frau Fischedick hören mir zu. Ich bilde mir ein, es ist ein Vergnügen, mich über Schuhe sprechen zu hören. Vermutlich ist es kein Zufall, daß ich über Schuhe wie über erweiterte Körperteile rede. Wer wie ich leben muß, ohne die Genehmigung zu diesem Leben erteilt zu haben, ist aus Fluchtgründen viel unterwegs und legt deswegen auf Schuhe größten Wert. Ich könnte sagen, aber ich denke es nur: Die Schuhe sind das Beste an mir. Über die anderen Schuhe, die mir mangelhaft zugeschnitten erscheinen, spreche ich nur kurz. Es ist immer wieder dasselbe: Sie sind zu eng und zu hart verfugt, die Nähte befinden sich an den falschen Stellen, die Eleganz geht auf Kosten der Bequemlichkeit. Habedank befühlt die Schuhe, während ich über sie spreche. Momentweise habe ich den Eindruck, meine Arbeit ist wichtig und sinnvoll. Ich weiß sonst keine andere Arbeit, bei der die Gefühle eines einzelnen Menschen (stellvertretend für die der anderen) eine so ausschlaggebende Rolle spielen. Am Ende meiner Erläuterungen holt Habedank das Scheckheft aus seiner Schublade. Für jedes Gutachten zahlt mir die Firma Weisshuhn zweihundert Mark. Das bedeutet, daß mir Habedank einen Scheck über zwölfhundert Mark über den Schreibtisch schiebt. Danach greift er hinter sich und stellt vier Paar neuer Schuhe auf die Schreibtischplatte. Schon an ihrer Form kann ich erkennen, von welchen Zuschneidern sie stammen. Ich verstaue die Schuhe in meinen Leinentaschen. Es kann jetzt nur noch Sekunden dauern, dann wird mich Habedank auffordern, mit ihm eine Tasse Kaffee zu trinken. Dann werden wir über elektrische

Weitere Kostenlose Bücher