Ein Regenschirm furr diesen Tag
Seidenkleid leitet ein weiches Körperzittern an mich weiter. Susanne trägt Abendsandaletten aus plissiertem Glacéleder mit Zierschleifen aus rosafarbenem Satin. Ich könnte über ihre Schuhe einen kleinen Vortrag halten, der alle Gäste verblüffen würde; ich tue es nicht oder vielleicht erst später. Außer Susanne und Himmelsbach kenne ich hier niemanden. Himmelsbach beachtet mich kaum. Er spricht lebhaft mit seiner Tischnachbarin, einer Animateurin, die mit belustigter Stimme zugibt, daß sie inzwischen selbst so einfallslos geworden ist wie die von ihr animierten Touristen. Zum zweiten Mal sagt sie ein wenig zu laut, daß sie ihren Beruf nicht mehr lange ausüben will. Sobald ich Himmelsbach anschaue, ziehen machtlose Erregungen durch mich hindurch. Sein Haar sieht nicht aus, als sei es vor kurzem geschnitten worden, aber ich kann es nicht mit letzter Sicherheit sagen. Seit etwa einer Viertelstunde verursacht mir die dauernde Nähe von Himmelsbach eine leichte Übelkeit. Sie erinnert mich an ein unangenehmes Urlaubserlebnis. Vor etwa fünfzehn Jahren bin ich mit dem Auto, das ich damals noch hatte, die Serpentinenstraßen der Abruzzen hinuntergefahren. Während der ganzen Abfahrt war mir so übel wie jetzt, und bis zur letzten Serpentine habe ich nicht abschätzen können, ob es bei der Übelkeit bleiben wird oder nicht, ebenfalls wie jetzt. Auf dem Weg hierher habe ich mir schon überlegt, ob ich bedeutungsvoll reden soll oder nicht. Im Augenblick bin ich unruhig und gleichzeitig verlegen, eine unangenehme Mischung, die ich gut kenne. Sie führt oft zu etwas Drittem, nämlich zu einer stummen, inneren Trockenheit, aus der ich nicht leicht herausfinde. Meine Tischnachbarin zur Rechten (Susanne sitzt links von mir), Frau Balkhausen, ist ein wenig erschöpft in sich zusammengesunken. Über ihre Arbeit als Kundenberaterin eines Luxusaltersheims hat sie schon mehrfach geredet, mehr weiß sie vielleicht nicht. Vermutlich will sie von mir unterhalten werden, aber meine innere Trockenheit läßt mich noch nicht los. Frau Dornseif, die Animateurin, klagt darüber, daß nur noch unmögliche Männer mit ihr flirten. Die Bemerkung gefällt mir, sie ist offenkundig auch auf Himmelsbach gemünzt, aber Himmelsbach geht über sie hinweg und redet weiter mit Frau Dornseif. Susanne lacht.
In letzter Zeit wird mir das unheimlich! sagt Frau Dornseif. Ich habe es nur noch mit Alten, Kranken, Ungepflegten oder mit total verkrachten Existenzen zu tun! Es ist gräßlich!
Frau Dornseif ist über ihre eigene Klage wieder belustigt, Himmelsbach schaut in sein Glas.
Eines Tages, sage ich zu Frau Dornseif, werden Sie sich mit einem dieser häßlichen Männer einlassen.
Niemals, sagt Frau Dornseif.
Warten Sie ab, sage ich, eines Tages wehren Sie sich nicht mehr! Man liebt dann, wenn man vor dem anderen nicht mehr fliehen will, obwohl man ahnt, daß dieser andere unmögliche Forderungen stellen wird.
Bravo! ruft Susanne.
Wie langweilig, sagt Frau Dornseif.
Die langweiligen Geliebten sind die tiefsten und die dauerhaftesten, sage ich.
O Gott, macht Frau Dornseif.
Wie war das mit der Liebe, sagt Susanne, sagst du das noch mal?
Man liebt dann, wiederhole ich, wenn man nicht mehr flieht, obwohl man ahnt, daß unmögliche Bedingungen auf einen zukommen.
Forderungen, hast du gesagt.
Was?
… daß dieser andere unmögliche Forderungen stellen wird, so hast du gesagt, sagt Susanne.
Ich hätte nicht gedacht, daß meine Definition der Liebe, die mir selber nicht bemerkenswert erscheint, bei Susanne so gut ankommen würde. Alle außer Himmelsbach schauen mich an. Meine innere Trockenheit nötigt mir ein Schlucken ab.
Können Sie den Satz erläutern, fragt Frau Balkhausen.
Ich atme durch und trinke mein Glas leer.
Man liebt dann, sage ich, wenn man merkt, daß mit dieser Liebe alle früheren Ansichten über die Liebe überflüssig werden. Verstehen Sie?
Nein, sagt Frau Dornseif.
Ich glaube nicht, sage ich, daß es Ihnen recht ist, daß Sie die ungepflegten Männer und die verkrachten Existenzen so sehr verabscheuen. Sie möchten sie gar nicht so heftig verabscheuen, jedenfalls nicht alle und nicht immer. Sie möchten wenigstens einen finden, den Sie nicht verabscheuen, und wenn Sie diesen einen gefunden haben und ihn lieben können, werden Sie auch Ihre Schuld lieben können, mehr noch als –
Was, fragt Frau Dornseif dazwischen, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr, was hat denn Liebe mit Schuld zu tun?
Weil der eine,
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