Ein Regenschirm furr diesen Tag
Messerschmidt anrufen.
Mhm, macht Himmelsbach, das werde ich dir nie vergessen.
Warten wir’s ab.
Und jetzt? Was machen wir jetzt? ruft Susanne und kommt auf uns zu.
Ich gehe noch ein bißchen ins Orlando, sagt Himmelsbach.
Ja, ins Orlando!
Nach ein paar Seufzern setzt sich die Meinung durch, daß ein Besuch der Diskothek Orlando dem Abend die Krone aufsetzt. Ich flüstere Susanne ins Ohr, daß ich dem Orlando nichts abgewinnen kann und lieber nach Hause gehe.
Du bist ein Spielverderber, sagt Susanne. Geh doch mit, sagt sie und küßt mich aufs Ohr.
Lieber nicht! Ich wäre ein Spielverderber, wenn ich mitkäme.
Frau Balkhausen sucht ihre Handtasche, Susanne lacht.
Die Nacht ist lang, sagt Frau Dornseif, die Musik im Orlando wird uns ins Wochenende schleudern wie ein, wie ein, Herrgott, sagt sie, mir fällt nichts ein.
Himmelsbach überprüft den Sitz seines Geldbeutels in seiner Hosentasche und gibt mir die Hand. Ich achte darauf, daß wir nicht zusammen die Treppen hinuntergehen. Ich merke, Frau Balkhausen möchte weiter mit mir reden, auch in einer Disko, wenn es sein muß. Ich biete Susanne an, ihr beim Abspülen zu helfen. Frau Balkhausen durchschaut, daß sie abgewimmelt wurde, und verschwindet. Zwei Minuten später verabschiede auch ich mich. Trotz seines Vorsprungs gehe ich auf der Straße nur etwa fünfundzwanzig Meter hinter Himmelsbach. Ich sehe, daß er sich die linke Hosentasche mit Erdnüssen abgefüllt hat, die er jetzt einzeln aus der Hosentasche holt und während des Gehens einzeln zerkaut.
Vier Tage später, an einem Samstagmorgen, stehe ich zum ersten Mal als Händler auf dem Flohmarkt. Vor mir habe ich den Tapeziertisch aufgebaut, den Lisa im Keller zurückgelassen hat. Mit ein paar Reißnägeln habe ich dünnes weißes Papier auf der Platte befestigt. Darauf stehen nebeneinander die Schuhe, die ich zuletzt von Habedank bekommen habe. Jedes Paar biete ich für achtzig Mark an, ein lächerlicher Preis. Kaum einer der pausenlos vorüberziehenden Flohmarkt-Besucher ist an den Schuhen interessiert. Die Leute schauen mich an, nicht die Schuhe. Seit rund zwei Stunden stehe ich hier, und bis jetzt hat niemand gefragt, was die Schuhe kosten. Der Mann links von mir handelt mit Militärartikeln, auch er verkauft nichts. Er hat einen Portable auf seinem Verkaufstisch stehen und schaut sich einen Film über Thüringen an. Der Mann rechts von mir trägt eine Micky-Maus-Krawatte und handelt mit billigem Blechspielzeug. Das heißt, er handelt nicht, genauso wenig wie der Mann mit den Militärartikeln oder ich. Wir stehen herum, wir schauen mal in den Himmel, mal auf den Boden und mal in den Fernsehapparat. Immer wieder frage ich mich, welches Gefühl in mir stärker ist, das der Vergeblichkeit oder das der Sinnlosigkeit. Ich kann die Frage nicht beantworten. Deswegen gehe ich nach einer Weile zur nächsten Frage über, was zuerst in mich eindringen wird, die Verrücktheit oder der Tod. Schon das Auftauchen des Wortes Tod schüchtert mich ein, ich lasse schnell ab von der Frage. Aber worüber soll ich sonst nachdenken? Ich ahne, daß mein Versuch als Luxusschuhhändler vielleicht meine letzte Chance ist, ein sogenanntes normales Leben zu finden. Ich betrachte die an mir vorbeigehenden Leute und rede mir ein, daß ich so bin wie sie. Ich zähle auf, was ich mit ihnen gemeinsam habe. Eine Weile geht es ganz gut. Aber dann merke ich, ich kann aufzählen, was ich will, in der Summe passen die Einzelheiten nicht zusammen, und sie können auch durch den Fortgang des Lebens nicht zusammenpassend gemacht werden; deswegen kann die Summe auch an diesem Spätmorgen von mir nicht genehmigt werden. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich die merkwürdige Tatsache, daß ich mich heute als Flohmarkt-Händler versuche, in mein übriges Leben einordnen soll. Ich denke an den Brief, den ich vor achtzehn Jahren an Susanne geschrieben und den ich vor ein paar Tagen wiedergelesen habe. Es handelt sich um das peinliche Dokument einer Jugendschwärmerei, die vielversprechend angefangen hatte und dann plötzlich verpuffte. Noch unangenehmer ist, daß ich die Tändelei vergessen habe, was mir Susanne zum Glück nicht übelnimmt. Ich bin fast sicher, daß eine Annäherung diesmal nicht ausbleiben wird. Unklar ist mir nur, ob ich Susanne, wenn sie mich besucht, in die Bedeutung des Blätterzimmers einweihen soll oder nicht. Ich werde mich gewiß nicht anstrengen müssen, ihr die Idee des Blätterzimmers verstehbar zu machen. Ein
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