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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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bißchen dumm ist nur, daß mein eigenes Interesse an den Blättern in den letzten Tagen beträchtlich nachgelassen hat. Sie sind in der trockenen Luft der Wohnung pergamenten und zerbrechlich geworden. Erst gestern hatte ich ein paar von ihnen in der Hand; ihre Ränder bröckelten schon ab. Ich unterließ es, mit quergestellten Füßen durch das Zimmer zu gehen und sich die Blätter vor den Schuhen aufstauen zu lassen. Ich werde auch keine weiteren Blätter in die Wohnung schaffen. Eher werde ich die Anfänge des Blätterzimmers wieder auflösen. Ich schaue die kleine Böschung hinab, die sich im Rücken der Stände hinabzieht. Die Böschung ist eine Art Müllplatz. Die Händler werfen hier alles hinab, was sie nicht mehr brauchen, Plastikhüllen, Planen, Blecheimer, Bierdosen, Kartons, Bekleidung, Bauschutt, Geröll. Das Wort Geröll gefällt mir. Es drückt die Merkwürdigkeit des Lebens genausogut aus wie das Wort Gestrüpp. Vermutlich sogar ein bißchen besser, weil die Verstaubtheit allen Lebens in Geröll besser anklingt als in Gestrüpp. Ich weiß nicht mehr, womit ich mich zerstreuen soll. Der Militärhändler links von mir schaut sich in seinem Portable die Nachrichten an. Gerade wird ein Politiker interviewt. Wie immer stehen ein paar Wichtigtuer um ihn herum, die mit ernsten Gesichtern in die Kameras blicken. Einer von diesen Hintergrundmännern könnte ich vielleicht noch werden. Wann immer Politiker im Fernsehen erscheinen, reise ich an und betätige mich als Kulisse. Ich habe ein einwandfrei ernstes Gesicht, das sich zur Unterstreichung jedes Anliegens hervorragend eignet. Ich werde viel zu tun haben, ich werde viel Geld verdienen. Backgroundmann des Fernsehens könnte mein Traumberuf werden. Endlich werde ich schweigen dürfen und dafür auch noch bezahlt werden. Obwohl ich diese Ideen nur zu meiner persönlichen Unterhaltung hervorbringe, überlege ich doch, ob ich nicht das Fernsehen anrufen und meine Dienste anbieten soll. Ein heruntergefallener Strickhandschuh hilft mir, meinen kleinen Wahn zu vertreiben. Der Strickhandschuh lag zuerst eine ganze Weile auf einem riesigen Wühltisch schräg gegenüber. Dann streifte jemand den Rand des Tisches und schob den Strickhandschuh in den Abgrund. Jetzt liegt er im Staub und wird in meinem Innern zu einem Zeichen der Beständigkeit, das alle Zeiten und Flohmärkte überdauern wird. Es geht auf Mittag zu. Ich verkaufe nichts, ich komme mir tot vor. Es ist den vorüberströmenden Leuten anzusehen, daß sie vor allem ein Gedanke beschäftigt: Was ist im Leben dieses Mannes geschehen, daß er jetzt Schuhe verkaufen will? Ich betrachte meine Jacke, die ich über ein Eisengeländer gelegt habe, ohne jedes Ergebnis. Es wäre besser, ich würde nach Hause gehen, aber dann müßte ich mich mit dem Gedanken des Versagens herumschlagen. Endlich gelingt es mir, die Jugendlichen interessant zu finden. Gleich fünfmal müssen sie ausdrücken, daß sie jung sind: durch die Zappeligkeit ihrer Körper (1), durch die Gegenstände (Cola, Popcorn, Comics, CDs) in ihren Händen (2), durch ihre Bekleidung (3), durch ihre Musik, dargestellt durch Stöpsel in den Ohren und Drähten um den Hals (4), und durch ihren Slang (5). Von dieser Hyperwirklichkeit werde ich bei nächster Gelegenheit Susanne erzählen. Sie wird lachen müssen, und dann werden wir beide froh sein, daß wir wenigstens nicht mehr jung sind. Ein ruhiger Mann zwischen vierzig und fünfundvierzig tritt an meinen Tapeziertisch heran und schaut auf die Schuhe. Er nimmt das Paar ganz links, er fährt mit den Händen in die Schuhhöhlen hinein und spannt die Sohlen, indem er Spitze und Absatz zusammenbiegt. Ich überlege, ob ich ein paar erläuternde Sätze sagen soll, aber es ist offenkundig, der Mann versteht etwas von Schuhen und wird von Erklärungen nur belästigt. Er prüft auf die gleiche Weise noch zwei weitere Paare. Dann knickt er das linke Bein hoch und vergleicht die Größe der Schuhe mit der Größe seiner eigenen Schuhe. Meine Schuhe passen. Kurz danach holt er seine Brieftasche heraus und sagt, daß er die drei von ihm geprüften Paar Schuhe mitnehmen möchte. Ich nenne den Preis und verstaue die Schuhe in zwei Plastiktüten. Sekunden später legt mir der Mann genau zweihundertvierzig Mark, passend in vier Scheinen, in die Hand. Dann nickt er mir kurz zu und zieht weiter. Es ist klar, daß ich nach diesem frappanten Verkaufserfolg meinen Stand in Kürze zusammenklappen und nach Hause gehen werde. Ich

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