Ein Regenschirm furr diesen Tag
zwischen den beiden Frauen. Die schauen mich inzwischen an wie einen frisch entlarvten und gerade noch verhinderten Kinderverderber. Endlich will auch ich nichts mehr und betrachte nur noch die fortlaufend zurechtgewiesene Welt.
8
Am Telefon war Messerschmidt freundlich, ja herzlich. Er tat, als hätte er seit Jahren auf einen Anruf von mir gewartet. Außerdem war er so redselig, daß ich kaum zu Wort kam, wogegen ich freilich nichts hatte. Er erinnerte an unsere Studentenjahre, und ich war erstaunt über die Fülle der Details, die er präzise im Gedächtnis aufbewahrt hatte. Weil ich nicht viel reden mußte, konnte ich leicht verschleiern, daß mir die Studentenzeit viel unbehaglicher war als ihm. Erst nach ungefähr zehn Minuten gelang es mir, mein Anliegen vorzubringen. Zuvor hatte er mich zweimal aufgefordert, doch einfach bei ihm in der Redaktion vorbeizukommen. Ich hatte kein Bedürfnis, den Generalanzeiger aufzusuchen. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte Messerschmidt in einem Café treffen können, aber gegen seine sprudelnde Bestimmtheit kam ich nicht an. Am Schluß des Telefonats gelang mir der Hinweis, daß ich nicht wegen mir selber anrief.
So? rief er ins Telefon; worum gehts denn dann?
Es geht, sagte ich, es geht um den Fotografen Himmelsbach.
Ach Gott, sagte Messerschmidt.
Was ist mit ihm?
Himmelsbach ist vermutlich eine tragische Figur, nein, er ist keine tragische Figur, er ist unfähig, sagte Messerschmidt.
Aber er hat doch schon einmal für den Generalanzeiger gearbeitet?
Er wollte, sagte Messerschmidt, aber es ist nie dazu gekommen; einmal hat er den Termin verschlafen, dann waren die Fotos, die er anbrachte, total mau, aber wirklich total mau, die konnte nicht einmal der Generalanzeiger drucken! rief Messerschmidt und lachte ein bißchen. Beim dritten Versuch versagte der Fotoapparat und beim vierten legte er sich mit den Veranstaltern an oder sonstwas, jedenfalls hat mit Himmelsbach nie irgend etwas geklappt.
Ahh so, machte ich und schwieg; das heißt, ich überlegte schon, wie ich Himmelsbach das Ergebnis meiner Intervention beibringen sollte, nein, genauer gesagt war ich gekränkt, weil mir Himmelsbach diese Vorgeschichte verschwiegen hatte, nein, noch genauer gesagt verstand ich bereits, daß er mir diese Vorgeschichte natürlich niemals anvertrauen konnte.
Aber warum reden wir so lange über Himmelsbach! sagte Messerschmidt. Willst du nicht vorbeikommen auf einen Kaffee am Nachmittag, vielleicht übermorgen, am Donnerstag, da sitz ich nur herum und würde dich gerne sehen.
Dieser Donnerstag ist heute, und ich bin auf dem Weg zum Generalanzeiger. Ich bin sogar ein bißchen gespannt, wie Messerschmidt aussieht. Als wir uns beinahe täglich sahen, waren wir jung, und ich erinnere mich gut, daß Messerschmidt mir damals peinlich war. Er leitete ein REGIONALKOMITEE der KPD, das heißt, er verfaßte, druckte und verteilte Flugblätter vor den Werkstoren großer Betriebe und agitierte die Arbeiter. Als Mao starb, organisierte er eine Spontandemonstration in der Stadt. Es war ein kleiner Haufen junger Leute, deren Anführer Messerschmidt in der linken Hand ein Megaphon trug und in der rechten eine Obstkiste. Die Obstkiste bestieg er von Zeit zu Zeit, hielt sich das Megaphon an den Mund und redete. Mit tiefer Trauer gibt euch das Zentralkomitee bekannt, daß Genosse Mao Tse-tung heute nacht im Alter von zweiundachtzig Jahren verstorben ist. Wunderbar selbstverständlich tat Messerschmidt so, als seien alle seine Zuhörer schon immer Chinesen gewesen oder würden es jetzt ganz schnell werden. An seinen unglaublichsten Satz erinnere ich mich bis heute: Wir werden unsere Trauer über den Tod des Großen Vorsitzenden in Energie verwandeln. Ich hatte Messerschmidt damals ernsthaft bitten wollen, er möge mir die Technik dieser Umwandlung persönlich beibringen, aber dann wurden solche Ankündigungen der Grund, warum wir uns mehr und mehr voneinander entfernten, bis Messerschmidt viele Jahre später in der Redaktion des Generalanzeigers wiederauftauchte und ich auf seine Bitte hin sein freier Mitarbeiter wurde. Wenn Messerschmidt wüßte, daß ich mich mindestens genausogut erinnere wie er, hätte er mich vielleicht nicht eingeladen. Natürlich werde ich ihn heute nur an das erinnern, woran er voraussichtlich erinnert werden möchte. Das kleine Verlagsgebäude des Generalanzeigers liegt hinter den Lagerhäusern zweier großer Kaufhäuser. Katzen schleichen zwischen leeren Kartons herum und
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