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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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ausgeht und man weiß, dass der Pilot in großen Schwierigkeiten ist. Shell blieb stehen. Inzwischen kannte sie das Geräusch.
    Pater Rose’ violetter Wagen holperte über die Brücke. Genau in dem Moment, als er sie entdeckte, fiel der Motor aus und das Auto kam mit einem Ruck zum Stehen.
    Er saß dort, beide Hände am Lenkrad, und starrte über die Kühlerhaube, mit ausdrucksloser Miene. Das Seitenfenster war offen und Shell sah seine Koteletten, kraus und drahtig, und seinen Mund, mit zusammengekniffenen Lippen.
    Er hatte seit Monaten kaum mehr zu ihr gesagt als ein Hallo. In letzter Zeit musste sie sich meistens mit einem höflich distanzierten Nicken begnügen.
    Sie hatte unzählige Male an seinen Messen teilgenommen. Doch der Funke, der ihnen innegewohnt hatte, war verglüht. Etwas hatte sich verändert, hatte an Spannung verloren. Er las die Worte noch immer im selben, gleichmäßigen Tonfall, aber seine Sätze hatten die Kraft der Bilder eingebüßt. Während er sprach, waren seine Augen ständig auf einen fernen Punkt gerichtet. Es war nicht der Himmel und es war auch nicht hier: Es war irgendwo dazwischen, auf halber Höhe, in der Schwebe.
    Sie ging auf ihn zu.
    »Pater Rose?«, sagte sie. »Ist der Wagen kaputt?«
    Er antwortete nicht, sondern drehte langsam den Kopf in ihre Richtung.
    »Hallo, Shell«, sagte er. Seine Mundwinkel hoben sich kaum merklich. Er nickte. »Nicht kaputt, eher am Pausieren. Der Motor ist heiß gelaufen. Er wird gleich wieder anspringen.«
    »Wird sie wieder mal frech, ja? Isebel?«
    Halb lachte er auf, halb seufzte er. »Ich hätte nicht übel Lust, sie auszupeitschen«, sagte er und klopfte auf das Lenkrad. »Du hast aber eine Menge Einkäufe, Shell.«
    Sie drückte die Tüte an sich und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Ihr war, als könnte jeder durch das Plastik schauen und das dicke Buch sehen, das sich in der Tüte verbarg. »Nur das Übliche«, murmelte sie.
    »Ich würde dich ja nach Hause fahren, bloß …« Er hob seine Hände kurz vom Lenkrad und ließ sie wieder zurückfallen.
    Sie wusste, was er meinte. Es lag nicht daran, dass das Auto eine Pause eingelegt hatte. Es schien, als hörten sie beide immer noch das Echo von Pater Carrolls Stimme am Mittwoch vor Ostern, wie sie durch die Sakristei der Kirche hallte. Wir haben keinen Grund, Damen ohne Begleitpersonen durch die Gegend zu fahren.
    »Keine Sorge«, sagte Shell. »Ich komme schon klar.«
    »Also dann, Shell.«
    »Also dann, Pater.« Sie bog in das Feld ein.
    »Und, Shell?«
    Sie warf einen Blick zurück.
    Er schaute sie wieder mit diesem Blick an, den sie von früher kannte, seine Augen zielten direkt in ihre, schlugen ein wie Meteoriten. Sie hatte ein Gefühl, als stünden ihr all ihre Sünden – Declan, das gestohlene Buch, die Küsse und alles andere – mitten auf der Stirn geschrieben. Und sie fühlte sich nackter, als sie sich im Feld der Duggans je gefühlt hatte.
    Shell musste seinem Blick ausweichen, schaute über seine Schulter und biss sich auf die Lippen.
    »Was ist?«, stieß sie hervor.
    »Gottes Segen!«
    Sie nickte. Die zwei einfachen Worte drangen direkt in ihr Herz, fanden tief in ihrem Innersten ein Zuhause. Sie errötete und wandte den Kopf ab, um das Lächeln zu verbergen, das seine Freundlichkeit ihr ins Gesicht gezaubert hatte. Sie nickte ihm zu und schritt den Hügel hinauf.
    Auf halber Höhe hörte sie das Husten seines Motors, wie er stotterte, erstarb, erneut ansprang. Sie hielt inne und lauschte auf die Geräusche seines Wagens, folgte ihnen durch das Dorf, bis sie leiser wurden und schließlich in der Ferne verklangen. Sie stellte die Tüte ab. Gottes Segen. Seine Stimme waren Wellen aus Rauch, die in ihr aufstiegen, sich ihren Weg durch ihre Glieder bahnten, bis in den Kopf. Sie starrte zum Wäldchen hinauf. Die Bäume verfärbten sich. Still und golden schien die Sonne auf ihre Kronen. Shell ließ sich auf dem Pfad nieder. Die letzten Heuschrecken zirpten. Über ihrem Kopf schwebte reglos ein Sperber. In ihrer Vorstellung war sie dort oben bei ihm, schwerelos, blickte aus großer Höhe auf die Banalitäten der Welt hinunter.

Zweiundzwanzig
    In den darauffolgenden Tagen verbrachte Shell viel Zeit im Wäldchen und las dort Der menschliche Körper von A bis Z. Sie hatte das Buch in eine Plastiktüte gewickelt und versteckte es unter einigen Steinen am Rand des großen Haufens. In den ruhigeren Stunden des Tages nahm sie es hervor und las es auf dem umgestürzten

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