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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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dass du …«
    Die Tür öffnete sich. »Die Zeit ist um«, rief der Polizist.
    Pater Rose stand auf. Er streckte eine Hand aus, berührte Shell an der Schulter und seufzte. »Mach dir keine Sorgen, fürs Erste nicht, Shell. Jetzt kommst du erst mal hier raus. Mrs Duggan hat ein Bett für dich gemacht, das soll ich dir bestellen. Warte hier auf mich und ich regele die Angelegenheit mit Molloy. Ich bin ganz schnell wieder hier, um dich abzuholen. Keine Sorge.«
    Die Tür schloss sich hinter ihm. Eine Lücke tat sich auf, dort, wo er gewesen war, still und kühl, als hätte der Raum sich von einer warmen Küche in eine kalte Speisekammer verwandelt. Sie trat wieder ans Fenster und sah, wie der Tag zu Ende ging, eine dünne Linie am Horizont. Shell wischte ihre Fensterbilder wieder weg.
… als sich ein Bettler aufgemacht,
um Holz zu sammeln, tief im Wald.
    Jimmy saß am Klavier, suchte die Töne, die Glöckchen klangen und die Rentiere flogen. Der Kragen aus Vlies, das glänzende Leder und Lichter am Hafen. Die Lücke füllte sich. Keine Sorge. Sie hauchte ein letztes Mal an die Scheibe und zeichnete einen Schornstein, von dem Rauchkringel aufstiegen.
    Als die Tür sich wieder öffnete, sah sie, dass er Wort gehalten hatte. Ein triumphierendes Lächeln lag auf seinen Lippen. Der Vlieskragen war aufgestellt, bereit zum Aufbruch, seine Schritte kündigten die nächtliche Fahrt an. »Shell«, sagte er. »Wir gehen. Beeil dich. Isebel wird sonst kalt vom Warten.«

Siebenunddreißig
    Sie fuhren die Küstenstraße entlang. Das letzte Schimmern zog sich übers Meer zurück. Pater Rose stellte keine weiteren Fragen. Shell rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her und betrachtete das Durcheinander. Der Führerschein. Leere Chipstüten. Neues Kaugummipapier. Sie schnupperte.
    »Sie rauchen ja wieder, Pater«, sagte sie. »Ich merke das.«
    »Woran?«
    »Sie kauen nicht mehr Kaugummi. Außerdem rieche ich es.«
    Er stöhnte. »Du hast mich durchschaut. Im Handschuhfach liegt eine Schachtel. Bist du so gut und gibst mir eine?«
    Sie öffnete das Fach, wühlte darin herum und fand ein einzelnes Kaugummi und eine Schachtel Majors, dieselbe Sorte, die Declan geraucht hatte.
    »Darf ich?«, fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln und deutete auf die Zigaretten.
    »Nein, Shell!«
    »War nur ein Witz. Ich bleibe bei den harten Drogen.«
    Sie zeigte ihm das Kaugummi und begann es auszuwickeln. Dann reichte sie ihm eine Zigarette. Er betätigte den Zigarettenanzünder. Sie kauten und rauchten in stiller Eintracht. Der Wagen bog in die Hauptstraße ein. Hinter einer Hecke glommen die Augen einer Wildkatze. Von einem Ast erhob sich flügelschlagend eine Eule in die Luft. Die Nacht war dunkel und still. Die Scheinwerfer, warm und rund wie ein Heiligenschein, erleuchteten nur ein paar Meter des Asphalts, der ringsum an ihnen vorbeiglitt. Dahinter ragten wie schmale Gespenster finstere Bäume auf, die die Zweige nach ihnen reckten. Zu beiden Seiten lauerten still die langen Hecken. Sie waren zu Hause, in Coolbar. Shell kam es vor, als wäre sie eine Ewigkeit fort gewesen.
    »Pater«, sagte sie. »Könnten wir am Haus kurz halten?«
    »Du meinst, bei dir? Ist es nicht abgesperrt?«
    »Unter der Fußmatte liegt ein Ersatzschlüssel. Ich muss ein paar Weihnachtsgeschenke holen. Für Jimmy und Trix. Außerdem …«
    »Außerdem?«
    Sie legte die Hände übereinandergekreuzt in den Schoß und senkte den Kopf. »Dürfte ich Ihnen das Grab zeigen? Wo ich sie beerdigt habe? Darf ich?« Er schaute sie an und stieg auf die Bremse. »Ich dachte, vielleicht könnten Sie es segnen. Das Grab. Und mein Kind. Tun Sie es, Pater?« Ihre Stimme schrumpfte zu einer winzigen Nichtigkeit zusammen.
    »Keine Sorge, Shell.« Seine Hand berührte ihren Arm. »Natürlich halten wir.« Er fuhr die Steigung zum Hof der Duggans hinauf, bog jedoch früher ab und folgte der Straße zu Shells Haus. »Auf dem Rücksitz liegt eine Taschenlampe«, sagte er.
    Sie stiegen aus und gingen hinein. Shell machte überall Licht. Das Haus war eiskalt, verschluckte jeden Ton. Pater Rose wartete in der Küche, während sie die Geschenke unter ihrem Bett hervorholte. Zusammen räumten sie die Reste des Abendessens fort, das sie an dem Tag gemacht hatte. Die Teller, halb voll, standen noch immer dort, wo sie sie auf dem Tisch hatten stehen lassen.
    Als sie fertig waren, ging Pater Rose hinüber ans Klavier und berührte das Holz, klappte den Deckel hoch und betrachtete die Tasten

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