Ein reizvolles Angebot
Testamentklausel zu erfüllen und ein Jahr durchzuhalten. Was sollen die Mätzchen? Wenn wir die Reederei und alles andere verlieren, dann wenigstens kurz und schmerzlos. Dann machen wir eben einen sauberen Schnitt, und jeder weiß, woran er ist. Dann braucht Nadia auch nicht mehr in ihrem Penthouse in Dallas zu sitzen und die Wände anzustarren.“
Die Bedingung, die Everett Kincaids Testament Nadia auferlegte, war besonders hart. Der Verstorbene hatte verfügt, dass sie das eine Jahr, das er auch Rand als Frist gesetzt hatte, nicht arbeiten durfte. Nadia traf damit das wohl grausamste Los, denn ohne die Ablenkung durch eine Arbeit war sie den Erinnerungen an ihren Mann und ihr Kind ausgeliefert, die sie jüngst durch einen Unfall verloren hatte. Rand empfand diesen Passus in Everett Kincaids Testament schlicht als sadistisch, und das war ein weiterer Grund für ihn, seinen Vater zum Teufel zu wünschen.
„Hör zu, Mitch. Ich habe nicht umsonst einen einträglichen Job aufgegeben, der mir viel Freude gemacht hat, und meine Wohnung in Kalifornien verkauft. Ich werde hier bleiben, bis die dreihundertfünfundsechzig Tage um sind. Sollten wir das Erbe verlieren, dann jedenfalls nicht durch meine Schuld.“
Ungläubig sah Mitch ihn an. „Und woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel, nachdem du dich fünf Jahre lang weder um die Familie noch um das Geschäft gekümmert hast?“
„Dieses Mal kommt er mit seinen Spielchen nicht durch. Dafür sorge ich.“
Mitch schien nicht überzeugt.
Rand griff in die Hosentasche und holte ein kleines Taschenmesser heraus. Er klappte es auf, die Klinge blitzte auf, und im nächsten Moment hatte er die Spitze in eine seiner Fingerkuppen gedrückt.
„Was treibst du da?“, fragte Mitch.
Rand drückte auf den Finger, und ein dicker roter Tropfen quoll hervor. „Wenn du es mir nicht glaubst, kann ich es auch mit Blut unterschreiben.“
„Lass den Quatsch, Rand. So etwas haben wir früher gemacht. Diese Kinderspiele bringen uns auch nicht weiter. Hier geht es um ein paar Hundert Millionen Dollar, falls du das vergessen hast.“
„Das habe ich keineswegs vergessen.“
Rand sah sich in dem großen, spartanisch eingerichteten Büro nach einem Taschentuch um, konnte aber keines entdecken. Also steckte er den Finger kurz in den Mund und presste dann den Daumen auf den Schnitt. Das Taschenmesser ließ er auf den Schreibtisch fallen. In diesem Augenblick betrat Tara das Büro.
Sie trug ein schlichtes Sommerkostüm in einem gelben Pastellton und hatte ihre Locken straff nach hinten zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Aber auch in dieser betont korrekten Aufmachung wirkte sie ausgesprochen sexy und verfehlte ihre Wirkung auf Rand nicht. Ihm gefiel es noch besser, wenn sie ihre Lockenpracht offen trug. Ärgerlich rief er sich zur Ordnung. Er hatte momentan andere Sorgen.
Tara war die Aktion mit dem Taschenmesser nicht entgangen. Sie trat auf Rand zu und sagte: „Zeig mal her. Soll ich den Erste-Hilfe-Kasten holen?“ Dabei warf sie einen kritischen Blick auf den blutenden Finger. „Ich geh ihn suchen.“
Nachdenklich blickte Mitch ihr hinterher, als sie wieder hinausging. „Ist sie der Grund, warum du uns damals verlassen hast?“, fragte er dann.
Rand winkte ab. „Ich bin sicher, Dad hatte eine passende Erklärung dafür parat.“
„Was hat er damit zu tun? Er hat kein Wort über euren Weggang verloren, weder über deinen noch über Taras.“
Rand wunderte sich. Sein Vater hatte selten eine Gelegenheit ausgelassen, um ihm eins auszuwischen. „Sagen wir es mal so: Er hat es mit seinem Konkurrenzverhalten mir gegenüber ein wenig zu weit getrieben.“
„Was meinst du damit?“
Rand hatte keine Lust, darauf zu antworten. Ihm selbst war die ganze Geschichte unangenehm. „Also, was genau willst du von mir, Mitch? Eine Garantie? Gut, du bekommst sie. Ich garantiere dir, dass ich bis zum Schluss durchhalte.“
Mitch warf seinem Bruder einen skeptischen Blick zu. „Es ging das Gerücht, du wärst mit Tara durchgebrannt.“
Das bedeutete immerhin, dass offensichtlich niemand etwas von Taras doppeltem Spiel ahnte, dachte Rand. „Seit wann gibst du denn etwas auf Gerüchte?“, konterte er.
„Komm schon, Rand. So abwegig war das nicht. Immerhin seid ihr beide an ein und demselben Tag spurlos verschwunden.“
Tara kam mit dem Verbandszeug zurück. „Ich … ich habe etwas gefunden“, meinte sie und stellte einen kleinen Plastikkasten auf den Schreibtisch, dem
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