Ein Rezept für die Liebe: Roman (German Edition)
nicht nur bis auf die Knochen blamiert, sondern sie auch noch ihrer Fähigkeit beraubt, Fantasien zu entwickeln.
Sie klebte probeweise ein Preisschild auf die Seitenwand des Kartons, ehe sie sich an die erste Dosenreihe machte. Aus den Lautsprechern neben den begehbaren Kühlschränken krächzte Tom Jones eine lausige Neuauflage von »Honky Tonk Woman«,
die Kate in mehrerlei Hinsicht als höchst unangenehm empfand – unter anderem deshalb, weil ein Song über eine »honky tonk woman«, also eine Frau in einer schummrigen Bar, die einen Mann »for a ride« mit auf ihr Zimmer nahm, im Moment alles andere als ihr Lieblingsthema war.
»Katie, komm mal her«, rief ihr Großvater.
Seit der zwölften Klasse, als ihre Jugendliebe mit einem anderen Mädchen zum Abschlussball gegangen war, hatte ihr Selbstwertgefühl keinen derartigen Schlag mehr versetzt bekommen, dachte Kate, während sie die letzte Dosenreihe mit Preisschildern versah. Natürlich hatte sie diesen Vorfall längst verwunden, und irgendwann käme sie auch über die Niederlage in Sun Valley hinweg. Doch im Moment bestand ihr einziger Trost darin, dass sie diesem Kerl aus der Duchin Lounge nie wieder über den Weg laufen würde.
Sie durchquerte das Hinterzimmer und ging auf ihren Großvater zu, der mit dem Rücken zu Kate am Ende einer Regalreihe stand und sich mit einem Mann unterhielt. Der Mann trug einen blauen Skianorak mit schwarzen Applikationen auf den Ärmeln und hielt eine Flasche Milch in der einen und eine Schachtel Müsliriegel in der anderen Hand. Zerzaustes braunes Haar hing über den Kragen seines Anoraks. Der Mann überragte ihren Großvater, der es immerhin auf einen Meter fünfundachtzig brachte, noch um ein gutes Stück. Er legte den Kopf in den Nacken und lachte über etwas, was ihr Großvater gerade gesagt hatte. Doch dann drehte er sich um, und sein Lachen erstarb. Über die allzu kurze Entfernung hinweg begegnete ihr Blick seinen tiefgrünen Augen, die im Tageslicht noch strahlender waren als in der Bar. Er zog die Brauen zusammen, und seine Lippen unter dem bleistiftdünnen Bart teilten sich.
Kates Schritte wurden langsamer, ehe sie schließlich stehen blieb. Alles um sie herum schien zu erstarren. Alles außer ihrem
Blut, das aus ihrem Kopf schoss und in ihren Ohren rauschte. Ihre Brust fühlte sich mit einem Mal ganz eng an, und wie bei ihrer ersten Begegnung fragte sie sich, ob sie diesen Mann mithilfe ihrer Fantasien heraufbeschworen hatte. Nur dass sie diesmal kein warmes Prickeln in ihrem Inneren verspürte. Kein Bedürfnis, sich mit den Fingern durchs Haar zu fahren, sondern nur die vage Ahnung, im nächsten Moment in Ohnmacht zu fallen.
Und genau das wollte sie in diesem Augenblick – ohnmächtig werden und an einem anderen Ort wieder zu sich kommen, doch leider war ihr dieses Glück nicht beschieden. Und während sie wie angewurzelt dastand und sich wünschte, das Bewusstsein zu verlieren, hatte sie keinen Zweifel daran, dass er sich an jede Sekunde des Abends erinnern konnte, als sie sich ihm an den Hals geworfen hatte. An jenen Abend, als er den Anschein erweckt hatte, als wäre ihm nie etwas leichter gefallen, als sie zurückzuweisen.
»Das ist Rob Sutter. Ihm gehört das Sportgeschäft, wo früher die alte Apotheke war. Rob, das ist meine einzige Enkelin Katie Hamilton. Ich glaube nicht, dass ihr beide euch schon begegnet seid.« Das waren die Worte ihres Großvaters, doch über das Rauschen in ihren Ohren und Tom Jones’ »Honky Tonk Woman« hörte sie etwas ganz anderes. Nehmen Sie’s nicht persönlich, aber ich gehe nicht mit Frauen ins Bett, die ich in Bars kennen lerne. Diese Worte bohrten sich wie glühend heiße Nadeln in ihr Bewusstsein. Die Stille zwischen ihnen schien sich endlos in die Länge zu ziehen, während sie darauf wartete, dass er ihrem Großvater erklärte, sie wären einander durchaus schon einmal begegnet. Dass er ihm erklärte, seine Enkelin hätte sich wie eine betrunkene Schlampe aufgeführt. In diesem Augenblick entglitt ihr die Auszeichnungspistole und fiel polternd zu Boden.
Rob warf Stanley einen Blick über die Schulter zu. »Nein. Wir haben uns noch nicht kennen gelernt«, erklärte er. Als er seine Aufmerksamkeit wieder Kate zuwandte, war seine anfängliche Verblüffung einem Lächeln gewichen. »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Katie.«
»Kate«, brachte sie mühsam hervor. »Nur mein Großvater nennt mich Katie.«
Er trat vor und bückte sich, um die Auszeichnungspistole
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