Ein Ring von Tiffany - Roman
dass sie es eventuell gar nicht durchstehen wollte - bis sie gerade eben mit diesem Satz herausgeplatzt war.
Leigh holte sich aus einem winzigen Bioeckladen einen Becher Kaffee ohne Halbfettsahne oder Süßstoffzusätze - wo, verdammt noch mal, war Dunkin’ Donuts, wenn man es mal dringend brauchte? - und zurrte sich den Schal fester um den Hals. Sie wollte sich schon in die Lobby von Russells Wohngebäude verziehen, da hörte sie hinter sich eine vertraute Stimme. Sie drehte sich um; mit quietschenden Reifen kam ein Taxi zum Stehen, aus dessen Rückfenster eine braun gebrannte Emmy ihr panisch zuwinkte.
Leigh blieb stehen und schaute in aller Ruhe von der Tür aus zu, wie ihre Freundin dem Fahrer drei Zwanziger gab, ein paar Dollar Wechselgeld kassierte und ihren Rollenkoffer aus dem Auto wuchtete.
»Seit wann ist es hier denn so scheißkalt?«, zischte Emmy, während sie versuchte, den Griff des Koffers aus seiner Versenkung zu zerren.
»Ziemlich genau, seit du abgeflogen bist«, antwortete Leigh, der wider besseres Wissen nicht danach war, ihrer Freundin zu Hilfe zu kommen. Im Augenblick fühlte es sich vollkommen okay an, einfach dazustehen und zuzusehen, wie ihr Atem warm gegen die eisige Luft anströmte. Sie machte Schluss mit Russell. Schluss mit Russell. Ex und hopp, wirklich? Die Verlobung aufkündigen, den Ring zurückgeben, nicht mehr Braut sein? Ja. Ja.
»Lieber Gott, das ist ja barbarisch! Menschenfeindlich! Warum leben ausgerechnet wir in so einer Umgebung?« Emmy küsste Leigh auf die Wange. »Russell ist noch nicht zu Hause, oder? Das heißt, wir können rauf?«
Leigh hielt ihr die Tür auf und winkte sie durch. Mit ihrem Schlüssel holte sie den Aufzug herunter, der direkt zu Russells Loftetage führte, und half Emmy, ihren Koffer in die Kabine zu verfrachten. Der Panoramablick auf die Unmengen von rostfreiem Stahl und schwarzem Lack, der sich ihnen beim Verlassen des Aufzugs bot, brachte Leigh mit einem Ruck zurück in die Gegenwart: Kaum sah sie Russells imposante Kollektion von Metallskulpturen und die von seinem Innenausstatter ausgewählten Schwarz-Weiß-Drucke vor sich, spürte sie wieder, wie sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen krallten.
»Willkommen!«, trällerte Leigh mit gespielter Fröhlichkeit. »Bei dem Ambiente wird’s einem doch richtig warm ums Herz, findest du nicht?«
Emmy ließ ihren Koffer an der Tür stehen, warf ihren Steppmantel über einen Stuhl im Esszimmer und nahm unbeholfen
auf Russells megaschickem, steinhartem Sofa Platz. »Ich könnte dir aus dem Stand die Namen von drei Dutzend Frauen nennen, die einen Mord begehen würden, um nur eine Nacht in dieser Wohnung zu verbringen.«
Leigh warf ihr einen warnenden Blick zu.
»Ich sage bloß...«
»Natürlich, du hast recht. Dass ich nicht zu ihnen zähle, macht es nur umso ironischer.« Ihre Stimme klang ruhig und ernst, und einen Moment lang wunderte sich Leigh, wieso sie nicht schon losheulte.
Emmy patschte neben sich auf das Sofa und erzeugte dabei ein Geräusch, das einem Knall glich. »Mann, ist das hart«, brummelte sie. »Komm her, setz dich hin, und erzähl mir, was eigentlich los ist. Meinem Gefühl nach kam das völlig unverhofft.«
Leigh ließ sich gegenüber von Emmy auf der Liege von Ligne Roset nieder. »So muss es einem wohl vorkommen, denke ich. Herrgott, es fühlt sich irgendwie auch so an. Aber nicht, wenn ich ganz ehrlich zu mir selber bin.« Sie spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte, und registrierte fast mit Erleichterung, dass sie endlich so etwas wie eine normale Reaktion zeigte.
»Was ist los? Hattet ihr Streit?«
»Streit? Nein, wo denkst du hin. Russell ist lieb und immer für mich da wie eh und je. Ich weiß nicht, ich habe bloß, keine Ahnung...«
»O nein!« Emmy schlug sich gegen die Stirn. »Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen? Schließlich und endlich ist er ja nun mal ein Mann. Russell betrügt dich, stimmt’s?«
Leigh spürte, wie sie große Augen machte, aber sie brachte kein Wort heraus.
» Oh. Nein. So eine Kacke! Mr. Ich-bin-ja-sowas-von-Scheißperfekt betrügt dich? Leigh, Süße, leider weiß ich aus bitterer Erfahrung genau, wie du dich jetzt fühlst. Herrgott noch mal, ich kann’s nicht fassen, dass er tatsächlich -«
»Er betrügt mich nicht, Emmy. Ich betrüge ihn.«
Daraufhin herrschte eine gute halbe Minute Schweigen. Emmy sah aus, als hätte sie der Schlag getroffen; vor Verblüffung verzerrte sich ihre Miene, während sie versuchte,
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