Ein Ring von Tiffany - Roman
Schuldbewusstsein, weil sie bei der Therapeutin so maulfaul gewesen war, und verdrückte sich, bevor das nächste Kaugummiknallen sie noch zur reißenden Bestie werden ließ.
Trotz des diesmal besonders dichten Stoßverkehrs dauerte die Taxifahrt von dem Wellnessparadies in der Upper East Side nach TriBeCa vom Gefühl her höchstens dreißig Sekunden. Der Fahrer hielt gerade vor Russells Wohnung, als ihr Handy klingelte.
»Hey«, sagte Russell. Er klang irgendwie anders, reservierter, aber das bildete sie sich wahrscheinlich nur ein.
»Hi! Ich stehe gerade vor deinem Haus. Bist du da?« Ihre eigene Stimme hörte sich gezwungen und aufgesetzt vergnügt an, was Russell nicht zu bemerken schien.
»Nein, ich brauche noch mindestens eine Stunde, aber ich hatte gehofft, du würdest so lange auf mich warten. Geh einfach rein und bestell uns doch schon mal was zu essen. Ich kann’s gar nicht erwarten, dich heute Abend zu sehen.«
»Ich auch nicht«, sagte Leigh und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass zumindest dies nicht komplett gelogen war.
Sie zahlte und stieg aus dem Taxi. In dem Moment klingelte ihr Handy erneut. Sie klappte es auf, ohne hinzugucken. »Ich hab vergessen zu fragen, willst du Sushi oder Italienisch?«, fragte sie.
»Ich bin für Italienisch«, sagte eine weibliche Stimme amüsiert.
»Emmy! Rufst du von Israel aus an? Wie geht’s dir?« Leigh
verspürte momentan keine große Lust, mit irgendwem zu reden, aber sie konnte ja nun schlecht ihre beste Freundin aus der Leitung schmeißen, nachdem sie mehr als eine Woche nicht mehr miteinander gesprochen hatten.
»Nein, ich bin gerade gelandet. Fahre mit dem Taxi von JFK nach Hause. Was hast du heute Abend vor? Kann ich dich vielleicht irgendwohin zum Essen schleifen? Ich vermisse meine Freundinnen!«
»Ich mache Schluss mit Russell«, sagte Leigh ruhig und völlig tonlos. Es dauerte eine Sekunde, bis sie sich überhaupt sicher war, dass sie das gesagt hatte, aber Emmys Japser bestätigte es ihr.
»Was hast du gesagt? Die Verbindung ist sauschlecht. Ich glaube, ich höre nicht -«
»Doch, du hast ganz richtig gehört«, sagte Leigh mit mehr innerer Ruhe als in den vergangenen zweiundsiebzig Stunden zusammengenommen. »Ich habe gesagt, ich mache Schluss mit Russell.«
»Wo bist du?«, wollte Emmy wissen.
»Emmy, mir geht’s gut. Ich find’s schön, dass du -«
»Wo zum Geier bist du?«, kreischte sie so laut, dass Leigh das Handy vom Ohr weghalten musste.
»Ich gehe gerade in seine Wohnung. Er ist noch nicht zu Hause, aber ich bestelle uns was zum Abendessen, und dann sage ich es ihm. Emmy, ich weiß, das muss dir vollkommen bescheuert erscheinen, aber -« Ihre Stimme brach und wurde von einem Schluchzen erstickt.
»Ich bin gleich da. Hör mir zu, Leigh Eisner. Ich bin schon unterwegs, okay?« Leigh hörte Emmy in gedämpftem Ton den Taxifahrer umdirigieren. »Bist du noch dran? Wir sind schon durch den Tunnel und fahren jetzt auf dem FDR Boulevard Richtung Süden. Ich bin in zehn, zwölf Minuten da. Hörst du?«
Leigh nickte.
»Leigh? Sag was.«
»Ich hab’s gehört«, brachte Leigh unter Schluchzen heraus.
»Okay, rühr dich nicht vom Fleck. Rühr. Dich. Nicht. Vom. Fleck. Verstanden? Ich bin in null Komma nichts da.«
Leigh hörte das Klicken in der Leitung, brachte es aber nicht fertig, ihr eigenes Handy zuzuklappen. Wieso hatte sie gerade gesagt, dass sie mit Russell Schluss machen würde? Der Gedanke war ihr weder in den letzten Tagen noch bei der Massage oder auf der Rückfahrt in die Stadt auch nur im Entferntesten durch den Kopf gegangen. Sie war lediglich zu dem Schluss gekommen, dass sie Russell gegenüber ehrlich sein musste, was Jesse anging - um jeden Preis. Schon möglich, dass sie ihm nur deshalb reinen Wein einschenken wollte, um ihr Gewissen zu erleichtern, aber es war auch sonst keine grandiose Idee, eine Ehe auf der Basis eines Vorehebruchs einzugehen, und Russell hatte es verdient, die ganze Wahrheit zu erfahren. Wenn sie das schaffte, war sie sich halbwegs sicher, dass Russell ihr, nach den entsprechenden Beteuerungen ihrerseits, eine zweite Chance geben würde. Es wäre sicher weder nett noch angenehm für sie beide geworden, aber wenn sie ihm nur eindringlich genug versichert hätte, dass das mit Jesse rein zufällig passiert war (was zutraf) und nie wieder vorkommen würde (keine Lüge), standen die Chancen, es durchzustehen, ihrer Meinung nach nicht schlecht. Nicht in Betracht gezogen hatte sie dabei,
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