Ein Ring von Tiffany - Roman
je Entspannung dringend nötig hatte, dann jetzt, und außerdem hatte einer ihrer Autoren ihr zu Weihnachten einen Geschenkgutschein geschickt. Sie musste also nicht
mal Gewissensbisse wegen des Geldes haben - aber bisher war diese Sitzung nur ein einsamer, stiller Batzen Zeit, in der Leigh nichts tun konnte, außer nachzudenken.
Abends wollten Russell und sie beim Essen über die Hochzeitsplanung sprechen - Leigh wusste nicht, wovor ihr mehr graute.
»Ihr ganzer Nacken ist stark verspannt. Hatten Sie in letzter Zeit viel Stress?«, fragte die Masseurin und bearbeitete einen Muskel mit immer den gleichen schmerzhaften Kreisbewegungen ihres Handballens.
»Mmmm«, murmelte Leigh teilnahmslos und betete, dass die andere ihr Desinteresse an einer Unterhaltung heraushören würde.
»Ja, das merke ich. Die Leute fragen immer, wieso wir so genau wissen, wo bei ihnen die Verspannungen sitzen, und ich sage dann immer, hey Leute, dafür sind wir schließlich ausgebildet, oder? Klar, so ein bisschen über den Rücken rubbeln, damit es sich gut anfühlt, das kann jeder, aber man braucht definitiv jemanden vom Fach, um diese bestimmten Druckpunkte aufzuspüren und wegzumassieren. Also, was ist es?«
»Was ist was?«, fragte Leigh verärgert, weil sie sich wohl oder übel an dem Gespräch beteiligen musste.
»Was macht Ihnen so viel Stress?«
Fragen dieser Art fand Leigh nicht gerade prickelnd - schließlich hatte sie mit den Sitzungen beim Seelenklempner aufgehört, weil sie der Meinung war, dass sie dabei zu viel preisgab. Sie wurde überhaupt nicht gern ausgefragt, von wem und zu was auch immer. Und trotzdem war sie nicht in der Lage, ein paar simple Worte herauszubringen, irgendwas in der Richtung wie »Ich habe ein bisschen Kopfweh, ist es okay für Sie, wenn ich einfach nur still daliege?« Stattdessen saugte sie sich irgendeine schwachsinnige Geschichte über mörderische Abgabetermine im Verlag und den Druck, die perfekte Hochzeit in Greenwich zu planen, aus den Fingern. Das Mädchen gab mitfühlende
Laute von sich. Leigh fragte sich, welche Reaktion sie ihr wohl entlocken würde, wenn sie ihr den wahren Grund für ihre Verspannung nannte, nämlich dass sie mit einem ihrer Autoren geschlafen hatte (und mit »geschlafen« meinte sie in Wirklichkeit »zehn irre Stunden lang den besten Sex ihres Le bens in sämtlichen nur vorstellbaren Positionen und Variationen«) und ihrem süßen, treusorgenden und total ahnungslosen Verlobten weiterhin die liebende, begeisterte Partnerin vorspielte.
Als die Massage vorbei war, fühlte sich Leigh eine Spur nervöser und deutlich weniger entspannt als vorher. Sie zog sich an, ohne sich zuvor das Duftöl von der Haut zu duschen, und versuchte, sich mental zu wappnen, um mit dem Schlamassel, den sie angerichtet hatte, fertigzuwerden. Eigentlich wollte sie nur eins: zurück zu Mami und Papi, sich unter der Decke zusammenrollen und bei irgendeinem Schwachsinnsvideo alles vergessen. Das wollte sie, und zwar so dringend, dass sie schon drauf und dran war, mit Russells Wagen zu ihren Eltern zu fahren, als ihr ein anderes Bild in den Kopf kam. Auch darin gab es eine weiche Kuscheldecke und ihre Lieblingsromane, aber zusätzlich noch Vater und Mutter, die sie beim Heimkommen mit Fragen bestürmten: Was machst du mitten in der Woche hier? Wo ist Russell? Wie geht’s in der Arbeit? Wann stellen wir endlich das Menü für den Empfang zusammen? Was tut sich mit Jesses Buch? Wo lasst ihr den Hochzeitstisch mit euren Geschenkwünschen aufstellen? Warum siehst du so elend aus? Warum? Wo? Wann? Nun sag doch, Leigh, sag doch! Der dumpfe Schmerz in ihrem Hirn kam jetzt wie ein Dampfhammer daher, und mit einem Mal fühlte sie sich mit der klebrigen Schicht Massageöl zwischen Haut und Kleidern entsetzlich eklig.
Sie legte rasch den Gutschein hin und schaffte es, standhaft zu bleiben, als man sie bat, einen Fragebogen zur Bewertung ihrer Behandlung auszufüllen.
»Bestimmt nicht?«, fragte die Dame an der Anmeldung und
ließ dabei immer wieder kurz ihren Kaugummi knallen, was Leigh irritierte. »Sie bekommen dafür fünfzehn Prozent Rabatt auf Ihre nächste Behandlung.«
»Danke, aber ich habe es eilig«, log Leigh und musste beinahe lächeln, als sie sich ausrechnete, dass vermutlich die Hälfte von dem, was sie zurzeit sagte, hinten und vorn nicht stimmte. Sie schmierte eine unleserliche Unterschrift auf den Geschenkgutschein, ließ fünfundzwanzig Prozent Trinkgeld in bar da, aus
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