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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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Gestalt entstanden. Als ich endlich von Dankbarkeit und Zärtlichkeit hingerissen das holde Mädchen in meine Arme schloß, da verschmolzen für mich die beiden Ediths zu einer einzigen, und ich habe sie seitdem nie wieder klar voneinander unterscheiden können. Bald bemerkte ich, daß auch Edith in gleicher Weise die beiden Persönlichkeiten miteinander zusammenwarf und verwechselte. Sicherlich ist nie zwischen Liebenden, die sich soeben erst gefunden hatten, ein so seltsames Gespräch geführt worden als das unsrige an jenem Abend. Es schien Edith mehr daran zu liegen, daß ich von meiner ehemaligen Braut, als daß ich von ihr selbst spräche. Anstatt daß ich von meiner Liebe zu ihr selbst reden konnte, mußte ich ihr erzählen, wie ich Edith Bartlett geliebt habe, und sie belohnte meine leidenschaftlichen Worte, die einem anderen Weibe galten, mit Tränen, zärtlichem Lächeln und Händedrücken.
    „Du darfst mich nicht zu sehr um meiner selbst willen lieben“, sagte sie. „Ich werde für sie sehr eifersüchtig sein. Ich werde nicht zulassen, daß du sie vergißt. Ich will dir etwas sagen, was dir vielleicht seltsam erscheinen mag. Glaubst du nicht, daß Geister zuweilen in die Welt zurückkehren, um ein Werk zu vollbringen, das ihnen besonders am Herzen lag?
    Was sagst du dazu, daß ich manchmal gedacht habe, ihr Geist lebe in mir, Edith Bartlett, und nicht Edith Leete sei mein wahrer Name? Ich kann nicht wissen, ob es wirklich so ist, denn niemand von uns weiß ja, wer wir in Wirklichkeit sind, aber ich fühle es, daß Edith Bartlett in mir lebt. Kannst du dich über diese meine Empfindungen wundern, wo du doch weißt, wie mein Leben durch dich und durch sie beeinflußt worden ist, noch ehe du zu uns kamst? Du brauchst dir nicht einmal Mühe zu geben, mich zu lieben, du mußt ihr nur treu bleiben. Ich werde wohl kaum je eifersüchtig auf sie werden.“
    Doktor Leete war an jenem Nachmittag abwesend, und so hatte ich erst später eine Unterredung mit ihm. Offenbar war er nicht ganz unvorbereitet auf die Mitteilung, die ich ihm machte. Als Antwort schüttelte er mir herzlich die Hand.
    „Unter gewöhnlichen Umständen, Herr West, würde ich sagen, daß dieser. Schritt nach ziemlich kurzer Bekanntschaft erfolgt, in unserem Falle aber kann wirklich nicht von gewöhnlichen Umständen die Rede sein. Offen gestanden, muß ich sagen“, fügte er lächelnd hinzu, „daß Sie sich mir nicht allzusehr verpflichtet zu fühlen brauchen, wenn ich meine freudige Zustimmung gebe. Wie mir scheint, ist meine Einwilligung eine blo ße Formalität. Von dem Augenblick an, wo Ihr Medaillon das Geheimnis verraten hatte, mußten die Dinge kommen, wie sie gekommen sind. Wahrhaftig: wenn Edith nicht dagegen wäre, um das Gelöbnis ihrer Urahne einzulösen, ich fürchte wirklich, daß die Treue meiner Frau eine harte Probe zu bestehen gehabt hätte.“
    Der Garten war abends vom Mondschein überflutet, und bis Mitternacht wandelten Edith und ich auf und ab und suchten uns an unser Glück zu gewöhnen.
    „Was würde ich getan haben, wenn ich dir gleichgültig geblieben wäre?“ rief sie aus. „Ich fürchtete, daß du dich nicht um mich bekümmern würdest. Was hätte ich angefangen, da ich doch fühlte, ich sei für dich bestimmt! Sobald du wieder zum Leben erwachtest, da war ich so fest davon überzeugt, als hätte sie selbst es mich geheißen, daß ich dir sein müsse, was sie dir nicht sein konnte. Aber das war doch nur möglich, wenn du mich an ihre Stelle treten ließest. An dem Morgen, wo du dich so entsetzlich fremd unter uns fühltest, hätte ich dir, ach! wie gern gesagt, wer ich bin. Allein ich durfte ja das Wunderbare nicht über meine Lippen kommen lassen, ich konnte auch nicht zulassen, daß meine Eltern dir davon sprachen –“
    „Das muß es gewesen sein, was dein Vater nicht sagen sollte“, rief ich aus, indem ich auf die Unterhaltung anspielte, die ich bei meinem Erwachen aus dem Starrkrampf belauscht hatte.
    „Natürlich“ lachte Edith. „Hast du das jetzt erst erraten? Da mein Vater doch auch nur ein Mann ist, so vermeinte er, dich damit unter uns heimisch zu machen, daß er dir sagte, wer wir wären. An mich dachte er dabei überhaupt gar nicht. Aber die Mutter verstand meine Gedanken, und so ließ man mir meinen Willen. Ich hätte dir nie ins Gesicht sehen können, wenn du gewußt hättest, wer ich bin. Es wäre doch darauf hinausgelaufen, mich dir allzu dreist aufzudrängen. Ich fürchte, du wirst

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