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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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zurück. Der Grund; der mich dabei leitete oder wenigstens der einzige Grund, den ich jetzt zu erwähnen brauche, war die Erinnerung daran, daß ich früher einmal gelesen, wie viel sich Ihre Zeitgenossen mit tierischem Magnetismus beschäftigt hatten. Es kam mir der Gedanke, daß Sie möglicherweise in einem Starrkrampf lägen, daß das Geheimnis Ihres unversehrten Körpers nicht die Kunst des Einbalsamierens, sondern das Leben sei. Mir selbst erschien diese Idee so überaus phantastisch, daß ich sie nicht einmal anzudeuten wagte, um mich nicht dem Spotte meiner Kollegen auszusetzen. Ich schützte irgendeinen Vorwand vor, damit die beabsichtigten Versuche hinausgeschoben wurden. Kaum hatten mich jedoch meine Kollegen verlassen, so begann ich mit systematischen Wiederbelebungsversuchen, deren Erfolg Ihnen bekannt ist.“
    Selbst wenn der Inhalt der Erzählung noch unglaubhafter gewesen wäre, so hätten doch ihre Einzelheiten zusammen mit der eindringlichen Art und der Persönlichkeit des Sprechers jeden Zuhörer stutzig gemacht. Ein sonderbares Gefühl beschlich mich, als ich nach dem Schlusse seiner Rede zufällig und flüchtig mein Bild in einem Spiegel erblickte, der an der Wand hing. Ich stand auf und ging auf ihn zu. Das Gesicht, das ich sah, war auf ein Haar dasselbe, schaute auch nicht um einen Tag älter aus als das Antlitz, das ich erblickt hat te, als ich an jenem Dekorationstag meine Halsbinde knüpfte, ehe ich zu Edith ging. Und doch wollte dieser Herr mir weismachen, daß seitdem hundertunddreizehn Jahre verflossen seien. Bei diesem Gedanken kam es mir aufs neue zum Bewußtsein, wie ungeheuerlich der Schwindel war, zu dessen Opfer man mich auserkoren hatte. Heftiger Zorn ergriff mich, als ich mir vorstellte, wie unerhört rücksichtslos, ja frech man gegen mich handelte.
    „Sie sind wahrscheinlich erstaunt“, sagte mein Gefährte, „daß Ihr Aussehen unverändert geblieben ist, obgleich Sie heute über hundert Jahre älter sind als an dem Tage, da Sie sich in Ihrem unterirdischen Gemach schlafen legten. Das darf Sie nicht verwundern. Gerade weil die Funktionen Ihres Organismus vollständig unterbrochen waren, haben Sie diese lange Zeit überlebt. Hätte Ihr Körper während des Starrkrampfes die geringste Veränderung erfahren, so wäre er längst der Auflösung verfallen.“
    „Mein Herr“, erwiderte ich, mich zu dem Sprechenden wendend, „ich sehe mich völlig außerstande, den Grund zu erraten, der Sie veranlaßt, mir mit ernster Miene dies wunderbare Märchen zu erzählen. Aber Sie sind sicherlich selbst klug genug, um zu verstehen, daß nur ein Dummkopf sich dadurch anführen lassen könn te. Ersparen Sie mir jeden weiteren kunstvoll ausgeklügelten Unsinn, und sagen Sie mir ein für allemal, ob Sie sich weigern, mir eine vernünftige Erklärung zu geben, wo ich mich befinde, und wie ich hierhergekommen bin. Wenn nicht, so werde ich mir selbst hierüber Klarheit verschaffen, wer immer mich auch daran zu hindern suchen wird.“
    „Sie glauben mir also nicht, daß wir das Jahr 2000 schreiben?“
    „Halten Sie es wirklich noch für nötig, mich danach zu fragen?“ erwiderte ich.
    „Nun“, versetzte mein seltsamer Wirt, „da ich Sie nicht zu überzeugen vermag, so sollen Sie sich selbst überzeugen. Fühlen Sie sich stark genug, mir die Trep pe hinauf zu folgen?“
    „Ich bin so stark, wie ich nur jemals gewesen bin“, versetzte ich ärgerlich, „und ich werde es vielleicht zu beweisen haben, wenn dieser Scherz noch viel länger dauern sollte.“
    „Ich bitte Sie, mein Herr“, gab mir mein Gefährte zur Antwort, „seien Sie nicht allzu fest davon überzeugt, daß Sie das Opfer eines tollen Streiches sind. Der Rückschlag könnte sonst zu überwältigend auf Sie wirken, sobald Sie sich von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugt haben.“
    Der teilnehmende, mitleidsvolle Ton, mit dem er dies sagte, sowie das Ausbleiben auch des leisesten Zeichens von Unwillen über meine gereizten Worte dämpften merkwürdig meine Empörung. Mit außerordentlich widerspruchsvollen Empfindungen folgte ich dem Herrn aus dem Zimmer. Er führte mich zwei Treppen und noch einige Stufen hinauf. Wir traten auf das flache Dach des Hauses, das, von einem Geländer umgeben, einen weiten Ausblick gewährte. „Sehen Sie sich gefälligst um“, sagte mein Begleiter, „und sagen Sie mir, ob die Stadt zu unseren Füßen das Boston des neunzehnten Jahrhunderts ist.“
    Unter mir breitete sich eine große Stadt

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