Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
Vom Netzwerk:
sieht.“
    „Versprich mir also, daß du ihm nichts sagen wirst.“
    Die erste Stimme war die eines Mannes, die zweite die einer Frau, beide sprachen flüsternd miteinander.
    „Ich will abwarten, wie es mit ihm geht“, antwortete der Mann.
    „Nein, bitte, versprich es mir“, bat eindringlich die Frauenstimme.
    „Laß ihr doch den Willen“, flüsterte eine dritte Stimme, ebenfalls die einer Frau.
    „Gut, gut, ich verspreche es also“, erwiderte der Mann. „Aber schnell, entfernt euch. Er kommt schon zu sich.“
    Ich hörte Kleider rauschen und schlug die Augen auf. Ein stattlicher Mann von ungefähr sechzig Jahren beugte sich über mich. Auf seinen Zügen lag ein Ge misch von großem Wohlwollen und lebhafter Neugier de. Der Mann war mir völlig fremd. Ich richtete mich halb auf, stützte mich auf den Ellbogen und schaute mich um. Das Zimmer war leer. Ich konnte schwören, daß ich nie zuvor darin gewesen war oder in einem ähnlich möblierten Gemach. Meine Blicke wanderten zu meinem Gefährten zurück. Dieser lächelte.
    „Wie fühlen Sie sich?“ erkundigte er sich.
    „Wo bin ich?“ fragte ich zurück.
    „In meinem Hause“, lautete die Antwort.
    „Wie kam ich hierher?“
    „Darüber werden wir erst sprechen, wenn Sie etwas kräftiger sind. Sie befinden sich bei Freunden und in guten Händen. Wie fühlen Sie sich?“
    „Ein wenig seltsam“, erwiderte ich, „aber mir scheint, daß ich ganz wohl bin. Wollen Sie mir gütigst erklären, wie es kommt, daß ich Ihre Gastfreundschaft genieße? Was ist mit mir geschehen? Wie bin ich hierhergekommen? Es war mein eigenes Haus, in dem ich einschlief.“
    „Zu Erklärungen haben wir noch später genug Zeit“, erwiderte mein unbekannter Wirt mit einem beruhi genden Lächeln. „Es ist besser, vorerst jedes aufregen de Gespräch zu vermeiden, bis Sie sich etwas erholt haben werden. Nehmen Sie, bitte, einige Schlucke von dieser Medizin, sie wird Ihnen guttun. Ich bin Arzt.“
    Ich stieß das Glas zurück und setzte mich aufrecht auf mein Lager. Es fiel mir nicht leicht, denn mir war gar sonderbar schwindlig zumute.
    „Ich bestehe darauf, sofort zu erfahren, wo ich bin, und was Sie mit mir gemacht haben“, sagte ich.
    „Lieber Herr“, antwortete mein Gefährte, „ich bitte Sie, regen Sie sich nicht auf. Ich möchte, daß Sie jetzt noch nicht auf Erklärungen bestehen. Allein, wenn Sie durchaus sofort Auskunft haben wollen, so werde ich Sie zufriedenzustellen suchen. Nur sollen Sie zuerst diesen Trunk nehmen, der Sie kräftigen wird.“
    Daraufhin trank ich, was er mir anbot.
    „Ihnen zu erklären, wie Sie hierhergekommen sind“, hub mein Gefährte an, „das ist nicht so leicht, wie Sie offenbar meinen. Sie können mir genau so viel darüber erzählen wie ich Ihnen. Sie sind soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht oder richtiger: aus einem Starrkrampf. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Sie versicherten soeben, daß Sie in Ihrem eigenen Hause eingeschlafen wären. Darf ich fragen, wann das war?“
    „Wann?“ erwiderte ich, „wann? Nun, gestern abend natürlich, gegen zehn Uhr. Ich hatte meinem Diener Sawyer Weisung gegeben, mich früh neun Uhr zu wecken. Was ist aus Sawyer geworden?“
    „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen“, antwortete mein Gefährte, während er mich sonderbar prüfend ansah. „Aber ich bin sicher, daß seine Abwesenheit einen triftigen Entschuldigungsgrund hat. Und könnten Sie mir nun nicht genauer angeben, wann Sie in Ihren Schlaf verfielen? Ich meine das Datum.“
    „Gestern abend natürlich! Wie ich Ihnen schon sag te. Gestern abend, das heißt, wenn ich nicht etwa einen ganzen Tag verschlafen habe. Guter Gott, sollte das möglich sein! Und doch habe ich ein seltsames Gefühl, als ob ich sehr lange geschlafen hätte! Es war am Dekorationstag, als ich mich schlafen legte.“
    „Am Dekorationstag?“
    „Jawohl, Montag, den Dreißigsten.“
    „Verzeihung, welchen Dreißigsten?“
    „Nun, den Dreißigsten dieses Monats natürlich, wenn ich nicht etwa gar bis in den Juni hinein geschlafen habe. Aber das ist ja ganz unmöglich.“
    „Wir haben jetzt September.“
    „September! Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß ich seit Mai geschlafen habe! Himmel, das ist ja unglaublich.“
    „Wir werden sehen“, versetzte mein Gefährte. „Sie sagen also, daß Sie sich am 30. Mai schlafen legten?“
    „Jawohl.“
    „Darf ich fragen, in welchem Jahre das war?“
    Ich starrte den Mann einige Augenblicke lang sprachlos

Weitere Kostenlose Bücher