Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
die Leitung der Gütererzeugung und Güterverteilung anvertraut. Gewiß, Herr West, wenn Sie nachdenken, so werden Sie finden, daß in Ihrer Zeit und nicht in der unsrigen den Regierungen außerordentlich weitgehende Vollmachten eingeräumt waren. Nicht einmal für die besten Zwecke würden heutzutage die Menschen ihren Regierungen eine Macht zugestehen, wie sie ihnen zu Ihrer Zeit für die unheilvollsten Ziele zu Gebote stand. “
„Ich will keine Vergleiche anstellen“, erwiderte ich, „allein zu meiner Zeit hätte man unfehlbar auf das Demagogentum und die Käuflichkeit unserer Politiker verwiesen, um darzutun, daß die Regierung nicht die Leitung der nationalen Wirtschaft übernehmen dürfe. Wir hätten es für die schlimmste aller Neuerungen gehalten, den Politikern die Leitung der Produktionsmittel des Landes anzuvertrauen, die den Reichtum erzeugen. Schon unter den bei uns bestehenden Verhältnissen waren die materiellen Interessen der Nation nur allzusehr der Spielball von Parteien.“
„Ohne Zweifel hatten Sie recht“, entgegnete Doktor Leete, „aber alles das ist jetzt ganz anders geworden. Wir kennen weder Parteien noch Politiker, und was das Demagogentum und die Käuflichkeit anbelangt, so sind das Worte, die nur noch eine geschichtliche Bedeutung haben.“
„Dann muß sich die menschliche Natur selbst gewaltig geändert haben“, meinte ich.
„Durchaus nicht“, entgegnete Doktor Leete, „aber die Lebensbedingungen der Menschen haben sich geändert und mit ihnen auch die Beweggründe des menschlichen Handelns {7} . Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren zu Ihrer Zeit derart, daß die Beamten stets in Versuchung standen, ihre Befugnisse zum eigenen Vorteil oder zu dem anderer zu mißbrauchen. Unter diesen Umständen befremdet es fast, daß Sie ihnen überhaupt die Führung Ihrer Angelegenheiten anvertrauten. Jetzt dagegen ist die Gesellschaft derart organisiert, daß ein Beamter durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt durchaus keinen Vorteil für sich oder andere gewinnen könnte. Mag er ein noch so schlechter Beamter sein, bestechlich ist er nicht: es fehlt ihm der Beweggrund dafür. Die Organisation unserer Gesellschaft setzt nicht mehr eine Art Prämie auf die Käuflichkeit. Aber diese Seiten unserer sozialen Ordnung werden Sie erst verstehen, nachdem Sie uns mit der Zeit besser kennengelernt haben.“
„Aber Sie haben mir noch nicht gesagt, wie Sie die Arbeiterfrage gelöst haben“, bemerkte ich. „Wir haben bis jetzt nur vom Kapital gesprochen. Nachdem die Nation die Verwaltung der Fabriken, Maschinen, Eisenbahnen, der Landwirtschaft und des Bergbaus übernommen hatte, blieb doch die Arbeiterfrage nach wie vor bestehen. Indem die Gesellschaft an die Stelle der Kapitalisten trat, hatte sie auch die Schwierigkeiten der Stellung der Kapitalisten übernommen.“
„In dem Augenblick, wo die Nation an die Stelle der Kapitalisten trat, verschwanden diese Schwierigkeiten“, erwiderte Doktor Leete. „Die nationale Organisation der Arbeit unter einer Leitung war die vollkommenste Lösung der unlösbaren Frage, als die in Ihrer Zeit und unter der Herrschaft der damaligen Wirtschaftsordnung die Arbeiterfrage mit Recht galt. Als die Nation der einzige Unternehmer wurde, da wurden auch alle ihre Mitglieder zufolge ihres Bürgerrechts Arbeiter, die nach den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Wirtschaft Pflichten zuerteilt erhielten.“
„Das heißt“, warf ich dazwischen, „Sie haben auf die Arbeiterfrage einfach das Prinzip der allgemeinen Dienstpflicht angewendet, wie es zu meiner Zeit verstanden wurde.“
„Ganz recht“, sagte Doktor Leete. „Das ergab sich von selbst, sobald die Nation der einzige Kapitalist geworden war. Das Volk war bereits gewöhnt, es für gerecht zu halten, daß auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht jeder körperlich taugliche Bürger zur Verteidigung der Nation das Seine beitragen müsse. Daß es in gleicher Weise die Pflicht jedes Bürgers sei, für den Unterhalt der Nation seinen Teil Handarbeit oder Kopfarbeit beizusteuern, verstand sich gleichfalls von selbst. Allein diese Art Dienstpflicht konnte erst dann allgemein und planmäßig, ohne Unterschied von allen geleistet werden, als die Gesellschaft der allgemeine und einzige Arbeitgeber geworden war. Die Organisierung der Arbeit war und blieb ein Ding der Unmöglichkeit, solange Hunderte und Tausende von Einzelpersonen und Gesellschaften als Unternehmer auftraten, zwischen denen eine Verständigung weder
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